Krafttraining - Kraftarten


 
Kraft und Krafttraining
(nach: Martin/Carl/Lehnertz - Handbuch Trainingslehre)

"...Krafttraining ist heute in jeder Sportart/Disziplin Bestandteil des Konditionstrainings, auch wenn in bestimmten Disziplinen, wie beispielsweise im Ausdauer- oder Spielsportbereich, noch berechtigte Unsicherheiten über die adäquaten Belastungen herrschen. 

Ferner hat das Krafttraining als Bodybuilding, Bodyshaping oder Biotraining eine zunehmende breitensportliche Orientierung erlangt und wird mit sehr gezielten Methoden unter Verwendung elektronisch gesteuerter Apparaturen in Studios sowie bei der Rehabilitation von Verletzungen eingesetzt. 

Das Spektrum der Anwendung des Krafttrainings und eine Reihe neuer Forschungsergebnisse, die es ermöglichen, die wissenschaftliche Begründung des Krafttrainings zu vertiefen, erfordern nicht nur eine Fortschreibung der bisherigen Konzepte der Trainingslehre, sondern teilweise auch neue Denkansätze im Verständnis der Kraft sowie das Überdenken einiger Methoden mit ihren charakteristischen Belastungsdosierungen.


 
Kraft und Muskelleistung — Charakteristik und Begriffe
Sportliche Leistungen sind vor allem Bewegungsleistungen, wobei die Bewegungen auf der beschleunigenden Wirkung von Kräften beruhen. Aus dieser Sicht ist es möglich, die Wirkung der Muskelkraft größtenteils auf der Grundlage mechanischer Gesetze zu beschreiben. Allerdings ist die physikalische Kraftdefinition unzureichend, um die konditionelle Fähigkeit „Kraft" vollständig zu erfassen...

Kraftleistungen der Muskulatur müssen jedoch etwas differenzierter charakterisiert werden. Muskelkräfte dürfen nämlich nicht lediglich als resultierende Kräfte behandelt werden, da die Krafteinwirkungen bei Bewegungen von einem komplizierten und mit vielen Freiheitsgraden an Bewegungsmöglichkeiten ausgestattetem System von Gliederketten mit Muskelschlingen verursacht werden. Hierbei werden meist mehrere Gelenke einbezogen, wobei einige Muskelgruppen — die sog. Synergisten — in die gleiche Richtung, andere — sog. Antagonisten — gegenläufig Kraft entwickeln.
Aufgrund der Anordnung der Gelenke und der sie aktivierenden Muskulatur ergibt sich eine Wirkungsweise dieses Systems, deren Kraftübertragung durch die jeweiligen Drehmomente an den beteiligten Gelenken zustande kommt...

Die Bildung von Kraft ist eines der wesentlichsten Leistungsmerkmale der Muskulatur, wobei vor allem der Skelettmuskel aufgrund seiner MikroStruktur zu hohen Leistungen befähigt ist. ... Während körperlicher Betätigung wird in der Muskulatur die durch Ernährungs-, Atmungs- und Kreislaufsystem bereitgestellte biochemische Energie in Kraft und Wärme umgesetzt. Dabei entspricht der in der Zeit erbrachte Betrag der Arbeit plus dem Betrag der entwickelten Wärme der physiologischen Muskelleistung...

Die Definition des Begriffes Kraftfähigkeit erfährt in der Trainingslehre eine Einengung. Denn obwohl alle menschlichen Bewegungen und Körperhaltungen durch Kräfte verursacht werden, so auch der Dauerlauf, der somit konsequenterweise ebenfalls in den Bereich des Kraftverhaltens einzuordnen wäre, wird dies nicht durchgängig eingehalten. So schlägt BÜHRLE unter Bezug auf HETTINGER  vor

  • um Kraft-, Ausdauer- und Schnelligkeitsverhalten theoretisch unterscheiden zu können
  • nur dann von Kraftverhalten zu sprechen, wenn Krafteinsätze aktualisiert werden, die über einem Drittel der individuell realisierbaren Kraftwerte liegen. Daran anknüpfend ließe sich Kraftfähigkeit wie folgt definieren.
Definition:
Kraftfähigkeit ist die konditionelle Basis für Muskelleistungen mit Krafteinsätzen, deren Werte über ca. 30% der jeweils individuell realisierbaren Maxima liegen.

Strukturierung und Erscheinungsformen der Kraft
Aufgrund sog. dimensionsanalytischer Ergebnisse empfehlen BÜHRLE / SCHMIDTBLEICHER die Einteilung der Kraft in sog. komplexe Fähigkeiten wie Maximalkraft - Schnellkraft - Kraftausdauer. Andere Einteilungsformen wie Stoß-, Wurf-, Sprung-, Sprintkraft u. a., wie sie beispielsweise LETZELTER  vornimmt, sind zwar zur Erklärung spezieller Zielsetzungen im praktischen Training geeignet, vermischen jedoch zu stark die koordinativen mit den konditioneilen bzw. energetischen Aspekten der Kraft und lassen damit die eigenständige Leistung der Muskulatur nicht trennscharf genug in den Vordergrund rücken. Bei der Darstellung der Kraft als einer konditionellen Fähigkeit sollten aber u. E. die Aspekte der Kondition von übergeordneter Bedeutung sein. Beim derzeitigen Kenntnisstand ist eine Einteilung in Maximalkraft, Schnellkraft, Reaktivkraft und Kraftausdauer sinnvoll.

Bevor näher auf diese Erscheinungsformen der Kraft eingegangen wird, ist auf die folgenden Zusammenhänge zu verweisen: Maximalkraft — Schnellkraft — Reaktivkraft — Kraftausdauer sind nicht gleichrangig nebeneinander zu stellen, sondern eher so anzuordnen, daß sowohl die Schnellkraft, die Reaktivkraft als auch die Kraftausdauer in hohem Maße vom willkürlich aktivierbaren Kraftpotential — und somit prinzipiell von der Maximalkraft — abhängig sind. Deshalb sind sie ihr hierarchisch unterzuordnen.

Maximalkraft
Die Trainingslehre differenziert die Maximalkraft traditionell entsprechend der überwindenden, haltenden und nachgebenden Arbeitsweisen der Muskulatur und der dabei realisierten Kontraktionsformen in eine konzentrische, isometrische und exzentrische Dimension.

Gegen eine Unterscheidung der Maximalkraft in eine isometrische und eine konzentrische sprechen sich BÜHRLE  und SCHMIDTBLEICHER  aus. Sie argumentieren: Wenn eine Person eine Gewichtslast nahe ihrer individuellen Grenzlast gerade noch heben kann, muss sie zuerst eine Gegenkraft gegen diesen Widerstand entwickeln. Dabei arbeitet die Muskulatur isometrisch; dann kann die Last nur sehr langsam angehoben werden. Das heißt für die Beschleunigung kann nur noch ein geringer Kraftbetrag verwendet werden. Dabei nähert sich die konzentrische Maximalkraft der isometrischen an. Konzentrische Maximalkraftwerte liegen je nach Messverfahren und/oder Muskel/Muskelschlinge rund 5 bis 20 Prozent unter den isometrisch erreichbaren Werten. Je besser jedoch Kraftniveau und Trainingszustand sind, desto geringer wird der Unterschied zwischen konzentrischer und isometrischer Maximalkraft.

Die von BÜHRLE / SCHMIDTBLEICHER vorgenommene Gleichsetzung von konzentrischer und isometrischer Maximalkraft ist jedoch aus molekularmechanischer Sicht nicht sinnvoll. Es trifft zwar zu, dass sich der Prozess der anfänglichen Kraftentwicklung bei beiden Formen nicht unterscheidet, jedoch entstehen bei der Haltearbeit im Moment des Haltens gegenüber der Bewegungsarbeit andere energetische Modalitäten: Beim Halten einer Kraft erfolgt nämlich kein Gleitvorgang zwischen dicken und dünnen Myofilamenten, was die Kraftbildung und den Energieumsatz gravierend beeinflusst.

Wie ist nun in diesem Kontext die exzentrische Maximalkraft einzuordnen? Kann sie als eine eigenständige Dimension betrachtet werden? Zunächst ist dabei festzustellen, daß die exzentrische Maximalkraft 5 bis 45% größer sein kann als die isometrische. Das wird bislang wie folgt erklärt: Bei der Dehnung des aktivierten Muskel-Sehnen-Systems addieren sich die passiven Elastizitätskräfte zu dem durch die Willküraktivierung realisierten Kraftbetrag. Ferner treten bei der Dehnung des Muskels durch die dabei aktivierten Muskelspindeln Dehnungsreflexe auf, die eine Erhöhung der Innervationsaktivität und damit eine stärkere Kontraktion bewirken (. Auch hier kommen wir — wie bei der Erklärung von isometrischer und konzentrischer Maximalkraft — aufgrund molekularmechanischer Aspekte zu einer anderen Auffassung.
Empirisch kann festgestellt werden, dass durch Willkürinnervation nur ein Teil der absolut entwickelbaren Kraft zu mobilisieren ist. So sollen beispielsweise Normalpersonen (Untrainierte) nur 70% ihrer sog. Absolutkraft willkürlich aktivieren können. Das nicht willkürlich aktivierbare Kraftpotential wird als autonome Reserve bezeichnet und der willkürlich erreichbare Kraftgrenzwert als Mobilisationsschwelle. Solche Kraftreserven lassen sich durch elektrische Stimulation aktivieren. Demnach ist die Absolutkraft die Kraft, die ein Muskel bei maximaler elektrischer Stimulation unter isometrischen Bedingungen bildet.

Daraus ergibt sich, dass die Maximalkraft durch den willkürlich aktivierbaren Teil der Absolutkraft bedingt ist. Die Absolutkraft wiederum hängt ab vom Muskelquerschnitt und der Muskelzusammensetzung. Sie repräsentiert das gesamte vorhandene Potential an Muskelkraft. Anhand dieses Konzepts ließe sich ermitteln, ob und in welchem Ausmaß die Maximalkraftfähigkeit noch ohne Muskelquerschnitts- und damit ohne Gewichtszunahme verbessert werden kann. In Anlehnung an HARRE, LETZELTER (1986) u. a., lässt sich aus diesen Zusammenhängen der Maximalkraftbegriff wie folgt ableiten:
Definition:
Maximalkraft ist die höchstmögliche Kraft, die das Nerv-Muskelsystem bei maximaler
willkürlicher Kontraktion auszuüben vermag.



Schnellkraft
Das Schnellkraftverhalten ist für die richtige Technikausführung und Technikeffizienz in vielen Sportarten die entscheidende energetisch-mechanische Komponente, vor allem weil hierfür die Geschwindigkeit mit der eine Kraft Arbeit verrichtet (mechanische Muskelleistung) entscheidend ist. Das macht auch das Schnellkrafttraining zu einem wichtigen Inhalt im Training der meisten Sportarten.

Trotz dieser Bedeutung wird Schnellkraft in der Trainingslehre nicht so einheitlich beschrieben wie die Maximalkraft. Das hängt sicher mit den unterschiedlichen Erklärungsmodellen zusammen, die hierbei zugrunde gelegt werden. Von mehreren Autoren wird Schnellkraft als das Vermögen betrachtet, große Kraftwerte pro Zeiteinheit zu realisieren, wobei Schnellkraft als Quotient aus dem Maximalkraftwert und der Zeit, die erforderlich wäre, diesen Wert zu erreichen, definiert wird. Diese Fähigkeit wird auch als Explosivkraft bezeichnet...

Als wesentlichen Faktor für die Realisierung von Schnellkraft sehen vor allem SCHMIDTBLEICHER und BÜHRLE in ihren Arbeiten die Maximalkraft. Aus physikalischer Sicht wird wie folgt argumentiert: In der Sportpraxis wird immer dann von Schnellkraft gesprochen, wenn es darum geht, den eigenen Körper, Körperteile oder Sportgeräte in hohem Maße zu beschleunigen. Dabei wird die Höhe der Beschleunigung sowohl durch die entwickelte Kraft als auch durch die Masse der zu beschleunigenden Körper bzw. Geräte bestimmt. Denn wenn auf einen Körper mit der Masse (m) die Kraft (F) wirkt, entspricht die Beschleunigung (a) dem Quotienten aus Kraft durch Masse (a=F/m). Somit würde - unter der Voraussetzung, dass F stets vom Maximalkraftpotential abhängig ist - auch das Beschleunigungsverhalten gegen leichte Lasten von der Maximalkraft determiniert. Allerdings kann - wie wir später zeigen werden - F umso größer werden, je schwerer m ist.
Das Produkt F • t wird als Kraftstoß bezeichnet und in Newton/Sekunden (Ns) gemessen. Grafisch stellt sich ein Kraftstoß (engl. Impact) als Fläche unter der Linie einer Kraft-Zeit-Funktion dar. Die Größe des Flächeninhaltes wird dabei außer von der Zeitdauer wesentlich von der Höhe der maximal erreichten Kraft (die stark abhängig ist von der jeweiligen Maximalkraft) und vom Anstiegswinkel der Kraft-Zeit-Kurve bestimmt.
Nach BÜHRLE (1985, 104) u. a. ist das Schnellkraftverhalten von einer dritten Komponente abhängig, nämlich der Startkraft. Sie bezeichnet das Vermögen des schnellen Reagierens bei der Kraftentwicklung, d. h. die Fähigkeit gleich bei Kontraktionsbeginn einen hohen Kraftanstieg zu entwickeln. Zur Bewertung für die Startkraft wird bei BÜHRLE die Kraftentwicklung während der ersten 30 ms (Millisekunden) des Anstiegs der Kraft-Zeit-Kurve berücksichtigt. ..

SCHMIDTBLEICHER (1984, 1787) greift bei der Definition des Schnellkraftvermögens auf den physikalischen Begriff Impuls zurück. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Kraftstoß und beschreiben damit die Impulsänderung. Schnellkraft ist danach die Fähigkeit, einen möglichst großen Kraftstoß in der zur Verfügung stehenden Zeit zu produzieren. Das hängt in erster Annäherung von einem schnellen Kraftanstieg, vom dabei erreichten Kraftmaximum und von der Dauer der Kraftwirkung ab. Allerdings führen weitergehende Analysen zu der Erkenntnis, dass ein maximaler Kraftanstieg nicht in jedem Fall zum größtmöglichen Kraftstoß und damit zu maximaler Bewegungsgeschwindigkeit führt.
In zahlreichen Sportarten kommt es bei Schnellkraftleistungen nicht darauf an, dass eine hohe Anfangsbeschleunigung entwickelt wird, sondern daß man auf dem vorhandenen Beschleunigungsweg eine hohe Endgeschwindigkeit erzielt (Kugelstoß, Absprung beim Skisprung, Kernwurf beim Handball, Angriffsschlag beim Volleyball u.v.a.). Dadurch bekommen die Schnellkraftparameter eine andere Gewichtung als jene, die ... abgeleitet wird, nach der Formel: Viel Kraft in möglichst kurzer Zeit.
Demgegenüber konnten wir in unseren Versuchen bei beidbeinigen Absprüngen von einer Kraftmessplatte nachweisen, dass Sprünge mit maximalem Krafteinsatz am Sprunganfang durchgeführt (= mit höchstmöglicher Start- und Explosivkraft), eine geringere Endgeschwindigkeit beim Absprung erreichten, als jene, deren Sprungkurve flacher anstieg (LEHNERTZ ). Ein frühzeitig maximaler Kraftanstieg führt demnach nicht unbedingt auch zur höchstmöglichen Endgeschwindigkeit, was durch molekularmechanisch orientierte Argumentation auch theoretisch begründet werden kann
Auf die biomechanischen Grundlagen dieser Sachverhalte hatte bereits HOCHMUTH hingewiesen: So seien zwar die Faktoren Kraft und Beschleunigungsweg einander gleichwertig, aber diese Gleichwertigkeit ist nur dann vorhanden, wenn durch das Vergrößern des Beschleunigungsweges die mittlere Beschleunigungskraft nicht negativ beeinflusst, d. h. nicht verringert wird. HOCHMUTH vermutete, dass die biomechanischen Eigenschaften der menschlichen Muskulatur einen solchen negativen Einfluss auf die mittlere Kraft bedingen.

Halten wir also fest:
Schnellkraftleistungen im Sport zielen überwiegend auf das Erreichen einer maximalen Endgeschwindigkeit auf einem gegebenen Beschleunigungsweg ab. Je kürzer der Beschleunigungsweg ist, umso mehr wird die Endgeschwindigkeit von Start- und Explosivkraft abhängig. Je länger der Beschleunigungsweg ist, umso mehr kommt es auf eine „reserviert" ansteigende Kraft an. Daraus ergibt sich, dass eine Definition der Schnellkraft über den Kraftstoß problematisch ist, vor allem dann, wenn daraus Konsequenzen für ein optimales Kraftverhalten abgeleitet werden sollen. Weniger problematisch erscheint uns eine Definition unter Bezug auf die Kraftbildungsgeschwindigkeit — oder die „schnelle Kontraktionsfähigkeit" (BÜHRLE). So setzen wir - unter dem Vorbehalt, dass zu differenzieren ist zwischen dem bestmöglichen Kraftverhalten beim Ansteuern von Schnellkraftleistungen und einer wesentlichen Bedingung dazu -  Schnellkraft mit Kraftbildungsgeschwindigkeit gleich.

Definition:
Schnellkraft ist die Fähigkeit, optimal schnell Kraft zu bilden.
 

Reaktivkraft
Reaktivkraft wird definiert als das Vermögen, bei schnell ablaufendem Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus einer Muskelschlinge einen hohen Kraftstoß zu realisieren (BÜHRLE). Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus bezeichnet die Kombination von exzentrischer und konzentrischer Kontraktion. In diesem Zyklus kann vor allem die Leistung der konzentrischen Kontraktion deutlich erhöht werden. Die Ursache der Leistungserhöhung im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus bzw. des reaktiven Kraftverhaltens wird auf das elastische Verhalten der Muskulatur während und kurz nach der exzentrischen Kontraktion zurückgeführt. Danach sollen durch die Dehnung die Bedingungen im Muskel so verändert werden, dass die Wirkung der folgenden konzentrischen Phase vergrößert sein kann. Bei einem Tief-Hochsprung beispielsweise fällt man auf die Landefläche nieder und versucht anschließend möglichst sofort ab- und hochzuspringen. Beim Aufsprung ist dabei die synergistische Muskulatur bereits innerviert und angespannt, sie wirkt wie Gummibänder. In der nun nachgebenden Beugephase wird diese Muskulatur gedehnt und bremst den Körper ab. Die kinetische Energie des fallenden Körpers wird durch Abbremsen in Verformungsenergie des Sehnen-Muskelsystems umgewandelt und kurzfristig gespeichert. In der anschließenden konzentrischen Streckung erfolgt wieder eine Umwandlung in kinetische Energie, was einer Erhöhung des konzentrisch gebildeten Kraftstoßes gleichkommt (BÜHRLE).

Wenn ein aktivierter Muskel gedehnt oder ein passiv gedehnter Muskel aktiviert wird, dann erhöht er seine Spannung und speichert elastische Energie in seinen serienelastischen Teilen. Sind die zeitlichen Bedingungen zwischen Dehnung und Verkürzung günstig, kann ein Teil der gespeicherten Energie wieder genutzt werden. Hält die Dehnung des Muskels zu lange an, dann geht ein Teil der gespeicherten Energie als Wärme verloren. Folgt allerdings kurz nach der Dehnung des aktivierten Muskels (exzentrische Kontraktion) eine Verkürzung (konzentrische Kontraktion), dann steht für die positive Arbeitsleistung ein beträchtlicher Teil der in der exzentrischen Phase (negative Arbeitsphase) gespeicherten Energie zur Verfügung (KoMi 1985).

In weitergehenden Ansätzen wird die Auffassung vertreten, dass ein beträchtlicher Anteil der Serienelastizität in den Querbrücken zwischen Aktin- und Myosinfilamenten liegt. Nach HUXLEY / SIMMONS rotieren die Myosinköpfe entgegen ihrem natürlichen Bestreben auf eine Position höherer potentieller Energie während des Dehnungsvorganges zurück. Da die Bindungsdauer zwischen 15 ms und 120 ms variieren, ist es für die Nutzbarmachung der gespeicherten Energie vorteilhaft, wenn sowohl die Dehnung als auch die Übergangsperiode zwischen Dehnung und Entdehnung kurz sind. Eine verlängerte Dehnungszeit hat ein Lösen bestehender Querbrücken zur Folge, wodurch das gespeicherte elastische Potential verlorengeht. Eine kurze Übergangsperiode verhindert hingegen das Lösen von Querbrücken und nutzt somit das gespeicherte Energiepotential während der folgenden Verkürzungsphase besser aus. LEHNERTZ (1988a) führt die Leistungssteigerung im Dehnungs-Verkürzungszyklus auf molekulare Gegebenheiten zurück.

Über die Parameter der Kraft-Zeitkurve beschrieben sind reaktive Bewegungsformen (beispielsweise beim Sprung) in zwei Phasen zu teilen, in den Teil, der zur Amortisation von elastischer Energie aufgewandt wird, und den Teil, der zur Beschleunigung des Körpers in Sprungrichtung führt. Optimales reaktives Bewegungsverhalten liegt dann vor, wenn aus einer relativ kurzen Amortisationsphase ein größtmöglicher Absprungimpuls erfolgt. Das bedingt kurze Bodenkontaktzeiten, in denen hohe Kraftwerte pro Zeiteinheit bewältigt werden müssen (SCHMIDTBLEICHER / GOLLHOFER).
Nach WERSCHOSHANSKIJ  ist Schnellkraft, die explosivartig entwickelt wird (wie das bei reaktiven Bewegungsformen notwendig ist), eine „selbständige motorische Qualität", was trainingsmethodisch bedeutend ist. BÜHRLE geht davon aus, dass neben der Maximalkraft und der Fähigkeit zur schnellen Kontraktion (Kraftbildungsgeschwindigkeit) eine weitere dimensional abgrenzbare Fähigkeit als zusätzliche Einflussgröße die Reaktivkraft bestimmt. Diese abgrenzbare Fähigkeit nennt BÜHRLE reaktive Spannungsfähigkeit, und sie ist das Vermögen, bei Dehnungsbelastungen in der exzentrischen Phase des Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus die Muskelspannung aufrechterhalten zu können.

Definition:
Reaktivkraft ist jene Muskelleistung, die innerhalb eines Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus einen erhöhten Kraftstoß generiert. Sie ist abhängig von Maximalkraft, Kraftbildungsgeschwindigkeit und reaktiver Spannungsfähigkeit.
 

Kraftausdauer
Das teilweise unterschiedliche Verständnis von Kraftausdauer drückt sich in den verschiedenen Definitionen aus, die in der Literatur der Trainingslehre vorgeschlagen werden. Die meisten Definitionen ... beziehen sich auf HARRE), der schreibt: „Die Kraftausdauer ist die Ermüdungswiderstandsfähigkeit des Organismus bei langandauernden Kraftleistungen". LETZELTER  schließt sich dieser Definition weitgehend an, glaubt jedoch, dass die lang andauernden Kraftleistungen eine zu ungenaue Größe sind und definiert: „Kraftausdauer ist demnach die Fähigkeit, Kraftleistungen über einen durch die Wettkampfdauer bestimmten Zeitraum aufrechtzuerhalten oder den Abfall des Kraftniveaus möglichst gering zu halten." Mit solchen Definitionen sind Kraftausdauerleistungen kaum zu quantifizieren und machen infolgedessen auch Belastungskomponenten für die Trainingsmethodik nur schwer bestimmbar. Als Bruttokriterium zur Quantifizierung schlägt SCHMIDTBLEICHER ) deshalb vor, Kraftausdauer an der Höhe der erzielten Impulssumme (besser: Kraftstoßsumme) in einem definierten Zeitraum zu berechnen.

Diese allgemeine Unsicherheit in der Darstellung der Kraftausdauer veranlasst uns, eine weitergehende Beschreibung für diese Erscheinungsform der Kraft zur Diskussion zu stellen, um der Forderung gerecht zu werden, dass Kraftausdauer dringend eine quantifizierbare Größe zu ihrer Operationalisierung benötigt (SCHMIDTBLEICHER).

Dabei gehen wir zunächst von dem bekannten Schema aus, dass bei einer Kraftausdauerleistung zwei Merkmale eine Rolle spielen. Das erste Merkmal ist abhängig von der Maximalkraft, nämlich die Bewältigung einer Last. Das zweite Merkmal aber, die Dauer der Lastbewältigung ist abhängig von den Stoffwechselleistungen der Muskulatur. Dieses Merkmal ist das eigentliche Charakteristikum der Kraftausdauer und dasjenige, das sie von den anderen Erscheinungsformen der Kraft unterscheidet. Bei Kraftausdauerleistungen kommt es demnach darauf an, einen bestimmten Betrag der Muskelleistung in einer speziellen Bewegungsaufgabe (Ruderschlag, Vertikalsprung zum Block im Volleyball), für möglichst lange Zeiträume mit dem gleichen Betrag wiederholbar zu machen, oder eine Last in einer bestimmten Bewegungsaufgabe über längere Zeit zu halten. Wir erkannten bei unseren Untersuchungen, dass Probanden, wenn sie innerhalb von 60 Sekunden, beginnend mit einer Bewegungsleistung, die ihrem maximalen Kraftstoß entsprach, diesen 24mal im Abstand von 2,5 Sekunden zu wiederholen versuchten, einer unterschiedlich großen Verringerung der Kraftstoßhöhe unterliegen. Genau dieses Phänomen, der individuelle Verringerungsbetrag des maximalen Kraftstoßes, gemessen bei einer vorgegebenen Wiederholungszahl in einer vorgegebenen Zeit, ist für uns der quantifizierbare Indikator der Kraftausdauer. Denn Kraftausdauer soll ja bewirken, dass ein maximaler Kraftstoß, beispielsweise beim vertikalen Sprung, bei mehrfacher Wiederholung aufrechterhalten werden kann...

Definition:
Kraftausdauer ist die Fähigkeit bei einer bestimmten Wiederholungszahl von Kraftstößen innerhalb eines definierten Zeitraums die Verringerung der Kraftstoßhöhen möglichst gering zu halten..."

 
(nach: Martin/Carl/Lehnertz - Handbuch Trainingslehre)

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