Die Geschichte des Schulsports
von der griechischen Antike bis in die Gegenwart

Turnen zur Vaterlandsverteidigung

Schon die alten Griechen wussten: Nur in der Studierstube sitzen ist nicht gesund. An den Gymnasien der griechischen Antike schwitzten die Schüler nicht nur über hochkarätigen Denksportaufgaben, sondern stählten auch ihre Körper.

Allerdings ging es dabei um die Verteidigung des Vaterlandes. Die weitere Geschichte des Abendlands ist zwar nicht arm an kriegerischen Auseinandersetzungen, aber in den Schulen ging es nach dem Vorbild des römischen Weltreichs vorrangig um geistig philosophische Bildung.
 
 
Turnplatz GutsMuths in Schnepfental . Im 19. Jahrhundert wendete sich das Blatt. In Preußen erging 1842 "Allerhöchste Kabinettsordre''. Danach musste der Turnunterricht, wie der Sportunterricht damals hieß, "an allen öffentlichen Lehranstalten als notwendiger und unerlässlicher Bestandteil der männlichen Erziehung'' erteilt werden. Die Ideen der Philanthropen fanden hier ihren Niederschlag. Johann Bernhard Basedow (1724-1790) eröffnete 1774 das Philanthropium Dessau mit dem Ziel einer vernunft- und naturbezogenen Erziehung. Er sprach "zugleich von einem Gymnasium, einer Ritterakademie und einer Kadettenanstalt''. Basedows Zeitgenosse Johann Christian Friedrich Guts Muths (1759-1839) unterstützte diese Idee und zog mit seiner Abhandlung "Gymnastik für die Jugend'' gegen "entnervende Verzärtelung'' und "luxuriöse Weichlichkeit'' ins Feld. Mädchen kamen in diesen Überlegungen nicht vor, ebenso wenig die Volksschulen. Dort gingen Kinder der Landbevölkerung zur Schule. Die harte Landarbeit wurde für deren Körperertüchtigung als ausreichend gesehen.

In Württemberg wurde das Turnen per Dekret und mit königlicher Genehmigung am 1. März 1845 zum Bestandteil des Unterrichts am höheren Schulen erklärt. Darin hieß es: "Regelmäßige Leibesübungen sind für Schüler, welche das zehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, in einer den verschiedenen Altersstufen entsprechenden Reihenfolge nicht bloß für den Sommer, sondern auch für den Winter in den Schulplan jeder Gelehrten- und Realschule aufzunehmen.'' Die Übungen sollten die Eleven "zum mindesten zweimal in der Woche, je eine Stunde lang vornehmen.''

An Spaß dachte dabei kein Mensch. So ging des Turnvater Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) in erster Linie darum, deutschnationale Interessen mit stählerner Muskelkraft zu verteidigen, immer das ungeliebte Nachbarland Frankreich im Blick. Sport diente der Wehrertüchtigung und Volkserziehung. Nicht die hohe Kunst an Reck, Barren und Pferd war gefragt, sondern Laufen, Springen, Werfen, Klettern, Ringen, Schwimmen und Wandern.

Die Württemberger wiederum hatten in Otto Heinrich Jaeger 1828-1912) ihren Turnvater Jahn. Jaeger, auch infiziert vom Gedanken der Nationalbewegung gegen Frankreich, entwickelte eine Art militärisch-strammen Turnens. Seine Ordnungs- und Freiübungen mit dem Eisenstab waren von Exerzierübungen kaum zu unterscheiden. Die württembergische Regierung entschied sich für das Jaegersche Turnen als "offiziellem Turnsystem an den Schulen des Landes''.

Das "schwache Geschlecht'', sah man lieber am Waschkübel. Dafür schien die Muskelkraft zu reichen. Ansonsten, so die Meinung, würden Mädchen und Frauen von einer "Kette von Revolutionen und oft gar traurigen Krisen'' geplagt. Noch in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts lehnte der "Vater des Mädchenturnens'', Moritz Kloss, Bockspringen und Voltigieren, Barren- und Reckübungen ab. Sie würden dem "nach unten geöffneten'' und mit schwacher Muskulatur ausgestatteten weiblichen Körper schaden und die Turnerinnen vermännlichen. Erst um 1900 wurde das Spektrum des Mädchenturnens dem der Knaben angepasst. Beim Geräteturnen galt jedoch die Devise "Beine unten und geschlossen''. Übungen an Reck, Barren oder am Schwebebaum galten als "dem weiblichen Wesen angepasst anmutig und kräftigend zugleich''.

Das Ideal der "starken Frau'' prägten erst die Nationalsozialisten. Mit Gleichberechtigung hatte das allerdings nichts zu tun, sondern mit Macht- und Expansionsgelüsten. Menschen waren Kriegsmaterial. Mit dem Dritten Reich endete die Geschichte des deutschen Schulsports unter militärischem Aspekt.

Heute, nach grundlegendem gesellschaftlichem Wandel geht es um Fitness aus gesundheitlichen Gründen. Dafür müssen Schulsportlehrer nun mit schlappen Computerkids kämpfen. Aber das ist eine andere Geschichte.

(Aus Stuttgarter Nachrichten 15.5. 2001)

Schulsport in Deutschland 1770 - 2000
Vaterländisches Turnen (Jahn)


zurück

Bewegungslehre |  Trainingslehre |  Sportsoziologie/-psychologie | Sport und Gesellschaft