Bewegung, Spiel und Sport im Internet
Stand 12.10. 2024Rolf Dober
Diskussion Bundesjugendspiele - 2024
Wettkampf, Leistung und die seltsamen Ansichten eines Kultusministers
Sein Amtsvorgänger, Alexander Lorz (CDU), hatte die Reform in der KMK noch mitgetragen.
Doch plötzlich scheint Gefahr im Verzug:„Wenn alles beliebig wird, gibt es keinen Ansporn mehr, besser zu werden.
Das wäre bedenklich für unsere Gesellschaft“."Das Rad muss jetzt ganz schnell wieder zurückgedreht werden.
Es geht in die völlig falsche Richtung, wenn wir unseren Kindern vermitteln,
dass Leistung nichts mit dem Leben zu tun hat", sagte er der Bild-Zeitung.
„Die Grundidee, nicht zu scheitern oder nur nicht zu verlieren, nützt gar nichts
hinsichtlich einer zwingend erforderlichen Lebenstüchtigkeit, die durch Schule
oder durch den Sport zu unterstützen ist“.
Armin Schwarz im DLF, 18. 8. 2024
Wie er zu solchen Aussagen kommt, bleibt rätselhaft. Schwarz will mehr Wettkampf und Leistung, zeigt selbst aber eher Ahnungslosigkeit und Arroganz gegenüber Fakten und sportpädagogischen Argumenten.
Ein 12-minütiges Interview im Deutschlandfunk macht dies überdeutlich. Auf seine unstimmige Argumentation und falschen Unterstellungen hingewiesen, findet er keine überzeugenden Antworten.
Hessischer Kultusminister Schwarz fordert Reform der Reform (DLF 18.8. 2024) Video - "Leistung als etwas Positives bewerten" (HR, 27.6.)
Stimmungsmache statt kompetenter Diskussion
Über soviel Unkenntnis und Stimmungsmache gegen ein Konzept, das einen entwicklungsgemäßen und vor allem entwicklungsfördernden Sport in der Schule zum Ziel hat, kann man als Sportlehrer nur erschüttert sein. Argumente von Fachleuten werden einfach ignoriert oder als Ausdruck einer falschen "Geisteshaltung" diskreditiert.Ein Blick in das Handbuch der Bundesjugendspiele zeigt deutlich, dass es immer auch um Leistung und Leistungsvergleich geht. Die Leistungsmessung bleibt wichtig und die Stoppuhr ist keineswegs abgeschafft.
Leistung ist eine zentrale Perspektive in den hessischen Sport-Lehrplänen. Kennt der Minister diese nicht?
Auch die Urkunden beinhalten Punktzahlen und Platzierungen, was dem Minister offensichtlich unbekannt ist.
Einen Zusammenhang zum Abschneiden deutscher Athleten/innen bei den olympischen Spielen herzustellen, ist wirklich abenteuerlich.
Ablenkung von den wirklichen Problemen des Schulsports
Man kann dabei "schon auf die Idee kommen, dass hier eine Scheindiskussion geführt wird mit dem Ziel, von den realen Problemen im deutschen Bildungssystem abzulenken.
Diese sind u. a.:
Unterrichtsausfall, fachfremd erteilter (Sport) Unterricht, marode Sportstätten, Schwimmbadschließungen und fehlende Schwimmzeiten für die Schulen, massiver Lehrkräftemangel....", so der Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes Daniel Möllenbeck in der Zeitschrift "Sportunterricht" 9/2024.
"Was ist los in diesem Land?" - Bundesjugendspiele als Symbol?
Es scheint so, als ob die Reform Bundesjugendspiele (der übrigens alle Kultusminister/innen der 16 Bundesländer zugestimmt hatten) nun als Symbol für eine grundsätzliche Kritik an der Bundesregierung und den vermeintlichen Verlust von Leistungsbereitschaft missbraucht wird. Fakten spielen bei dieser politischen Funktionalisierung keine Rolle.
"Die Bundesjugendspiele sollen abgeschafft werden, weil keiner mehr eine Ehrenurkunde bekommen darf.
Der DFB denkt darüber nach, dass Tore nicht mehr zählen.
Was ist los in diesem Land? Wir brauchen mal wieder Anstrengung und Leistung",
sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bei "Maybrit Illner" (7.9.2023).
VideoWer meint, dass dies eine (kurzzeitige) Überreaktion oder eine Sommerlochdebatte 2023 war, wird durch die aktuellen Einlassungen (s.o.) des hessischen Kultusministers widerlegt. Linnemann vertritt übrigens auch im Oktober 2024 auf Instagramm wieder eine ähnliche Position.
"Es ist traurig wenn Bundesjugendspiele nicht mehr unter Leistungsgesichtspunkten stattfinden,
sondern es nur noch um die schlichte Teilnahme geht".
Interessant auch eine
programmtische Rede
von Friedrich Merz
(12.10.2024 auf dem CSU Parteitag)"So einfach ist das..."
„... und liebe Freundin und Freunde dahinter steckt natürlich ein grundsätzliches Denken.
Was sind wir denn? Ja natürlich sind wir eine Leistungsgesellschaft, natürlich wollen wir etwas leisten.
Wir wollen etwas schaffen. Wir wollen etwas hinbekommen und wenn ich dann höre, wenn ich dann höre, dass sich der eine oder andere darüber beschwert, dass wir bei der letzten Olympiade in Paris nicht genug Goldmedaillen und nicht genug Silbermedaillen und nicht genug Bronzemedaillen gewonnen haben, ja dann ist meine Antwort ganz einfach: wenn wir in den Schulen die Wettbewerbe nicht mehr ermöglichen, wenn wir die Bundesjugendspiele abschaffen, wenn wir der Meinung sind, dass junge Menschen es nicht mehr vertragen Erster, Zweiter, Dritter zu sein oder eine Teilnehmerurkunde zu bekommen, dann ist die Antwort ganz einfach.
Dann bekommen wir in Zukunft auch bei Olympiaden nur noch Teilnehmerurkunden und keine Medaillen mehr. So einfach ist das, so einfach ist das."Nachtrag 17.12. 2024
"Bundesjugendspiele mit Wettbewerbscharakter in ganz Deutschland sind uns ein Anliegen, das wir über die Kultusministerkonferenz stärken." (Wahlprogramm 2025 der CDU)
Also doch Wettbewerb oder im Begriffswirrwarr verheddert?
Weitere Stellungnahmen - "Wettkampf der Ahnungslosen oder politische Funktionalisierung?"
Perspektiven
Natürlich ist eine Diskussion über die Bedeutung und die Inhalte der Bundesjugendspiele weiterhin wichtig.
Vieles sollte dabei bedacht werden:
Die Verbindlichkeit, die Autonomie der Schulen und Fachkonferenzen, das Übungs- und Sportartenangebot, die Bedeutung von Spiel- und Sportfesten, die Urkundenverteilung...
Die (wissenschaftliche) Sportpädagogik könnte und müsste vielmehr beitragen als bisher.
Die Lehrkräfte vor Ort sollten bei der Konziperung von Schulsportwettbewerben einen zentralen Stellenwert haben.Besonders ärgerlich ist es, wenn Sportpädagogen, Sportlehrerinnen und Sportlehrer als leistungsferne Deppen gesehen werden, denen die richtige "Geisteshaltung" fehlt (vgl. Schwarz-Interview im DLF).
Die Sportverbände haben sich übrigens klar positioniert.
Die bewegenden „neuen“ Bundesjugendspiele - Bundesjugendspiele werden nicht abgeschafft (DOSB, 19.7.23)
„Leichtathletik-Bundesjugendspiele – kindgemäß, zeitgemäß, attraktiv“ (Broschüre DLV, 2024)
Schwarz irritiert dies nicht.
Er sei „sehr verwundert, dass sich ausgerechnet die Sportverbände jetzt dagegen sperren,
dass der Leistungsgedanke bei einer so bedeutenden Schulveranstaltung wie den Bundesjugendspielen
wieder mehr in den Vordergrund gerückt wird“ (Table.Media, 18.8. 2024).
Der ehemalige Schulsportreferent im hessichen Kultusministerium und Vorstandsvorsitzende der Schulsportstiftung, Klaus Paul, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt, dass "es hilfreich sein kann, sich gelegentlich auch einmal der „Quellen“ zu bedienen, statt vom „Hörensagen“ aus zu argumentieren".
Der Dauerstreit um die Bundesjugendspiele (K. Paul bei "Sport nachgedacht")
Sportunterricht.de | Sportpädagogik-Online