Bewegung, Spiel und Sport im Internet
 
Stand 21.7. 2023
Rolf Dober
Sportunterricht.de
 

Bundesjugendspiele - Anmerkungen zu den "neuen Kritikern"
Dauerthema in den Medien  /  Ende des Leistungsgedankens im Sport?
 
 

Seit Jahrzehnten haben die Bundesjugendspiele (Leichtathletik, Turnen, Schwimmen) einen zentralen Stellenwert im schulsportlichen Wettkampfprogramm.
Sie sind aber  - was ihren pädagogischen Wert anbetrifft - umstritten: Zu wenig Bewegungszeit, wenig Erfolgserlebnisse für schwächere Schüler, wenig Gruppenaufgaben...
Von einer Demütigung unsportlicher Schüler/innen war und ist sogar die Rede. "Und wie schlimm war es bei Ihnen?" fragt die "Zeit" ihre Leser.

Die Bundesjugendspiele als ein Weg in die "Flauschokratie" titelt dagegen N. Blome im "Spiegel". 
Die neuen Kritiker/innen sehen das Leistungsprinzip in Gefahr.
Eine kleine Änderung ist der Anlass. Der sogenannte "Wettbewerb", der die Bundesjugendspiele vielseitiger machen soll und den es schon seit über 20 Jahren gibt, wird ab kommenden Schuljahr für die Klassen 3/4 (Leichtathletik und Schwimmen) verbindlich. Der Wettkampf Turnen kann weiterhin als Alternative zum Wettbewerb durchgeführt werden.

Auch das ist schon seit zwei Jahren beschlossene Sache, aber plötzlich ist ein großes Medieninterrese an den Bundesjugendspielen entstanden. Erläuterungen und Einschätzungen vieler selbsternannter Sportpädagogen/innen sind dabei nicht immer von Fachkenntnis getragen (vorsichtig formuliert). 
Wettkampf der Ahnungslosen oder politische Funktionalisierung?
Ein Blick ins Handbuch hätte grundlegende Fehlurteile und Missverständnisse verhindern können.
Die offizielle Namensgebung  der unterschiedlichen Formate der Bundesjugendspiele "Wettbewerb", "Wettkampf" und "Mehrkampf", ist für Außenstehende allerdings auch missverständlich, vielleicht sogar irreführend.
Der Sportsoziologe Helmut Digel spricht von einer durch die Kultusministerkonferenz ausgelöste "Sprachverwirrung".
"Kein Wettkampf mehr, nur noch Wettbewerb", heißt es dann in vielen Presseberichten. Was wollen uns die Presseleute damit eigentlich sagen?
Eine Pressemitteilung, des Bundesministerium, die gern zitiert wird, ist auch nicht sehr erhellend. 
 "Der Wettkampf ist nach internationalen Wettkampfregeln beziehungsweise nationalen Bestimmungen des Regelwerks des Deutschen Leichtathletikverbandes normiert. Der Wettbewerb ist nicht normiert", teilte ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums mit (zitiert nach ZDF).
Die Sportarten Turnen und Schwimmen werden unterschlagen, mit der Normierung sieht es dort zudem etwas anders aus.
So vermitteln dann viele Kommentare einen falschen Eindruck. Zum Beispiel "Sportschau.de":
"Keine Wettkämpfe mehr bei Bundesjugendspielen: ein falsches Signal" lautet die Überschrift bei "Sportschau.de"(ARD/SWR), von der Verwässerung des Leistungsgedankens ist dort die Rede. "Warum nimmt man den Kindern ihre Erfolgserlebnisse im Sport?"
Ein anderer Beitrag meint dagegen: "Die Reform der Bundesjugendspiele ist richtig und wichtig", allerdings gibt es auch hier einige Missverständnisse über den "Wettbewerb" hinsichtlich Leistungsanforderungen und Leistungsvergleich..
Der Vielseitigkeitswettbewerb . . .

Übungsauswahl
Leichtathletik, Turnen
Schwimmen
 
Mit dem "Wettbewerb" werden nicht nur vielseitige und kindgerechtere Sportformen angesprochen. Der Wettbewerb besteht aus 4 Disziplinen ("Wettkampf" nur 3). 

Einschließlich Leistung, Wettkampfgedanke und Urkunden.

Gefördert werden vor allem die koordinativen Fähigkeiten
Eine Ausdauerleistung (Leichtathletik) von 7-15 Minuten (in unterschiedlichen Formaten) ist vorgeschrieben. Insofern könnte man sagen, dass mit dem "Wettbewerb" deutlich mehr Leistung verlangt wird. Mehr Bewegungszeit ist ohnehin garantiert. Auch Maßband und vor allem Stoppuhr haben noch ihren Stellenwert.

. . . und seine merkwürdigen Kritiker
Wenn die Berliner Bildungssenatorin sagt „wir tun unseren Kindern keinen Gefallen, wenn wir so tun, als ob sich messen und Leistung nichts mit dem Leben zu tun hätten“ ("Tagesspiegel", 5.7.), fragt man sich doch, ob sie weiß, worüber sie spricht. 
Der Sport- und bildungspolitische Sprecher Martin Balasus (CDU, Schleswig-Holstein) startet sogar einen Aufruf "Rettet die Bundesjugendspiele".  - "Die Idee, den Wettkampfgedanken nun aber komplett zu streichen, ist aus sportpolitischer Sicht eine Fehlentscheidung". Von der Saar-CDU und aus Thüringen kommen ähnliche Stellungnahmen.

"Bitte kein leistungsfreies Kinderkuscheln" fordert Katharina Ritzer in der Neuen Osnabrücker Zeitung (5.7.) und unterstellt die Abschaffung des Leistungsprinzips bei den Bundesjugendspielen. "Bloß niemand etwas abverlangen" und "Verwöhnen ist in der Kindererziehung die schlimmste Form der Vernachlässigung." 

"Zeit"-Wissensredakteur Anant Agarwala (12.7.) konstatiert, dass die Kuschelpädagogen nun wohl gewonnen haben. Leistungsallergie in Deutschland, Morbus Mittelmaß. Ja, die demokratische Funktion, dass in unserem Schulsystem Benachteiligte doch bei den Bundesjugendspielen gewinnen könnten, bleibt auf der Strecke.

Einige Kommentatoren dramatisieren noch mehr.
Beispiel "Welt": „Kann man uns eigentlich im europäischen Ausland noch ernst nehmen oder sagen die: Die Deutschen, die trainieren sich die Leistung ab?“  "Welt"- Interview (Video) mit dem Kolumnisten Jan Fleischhauer)
YouTube: Aus für Bundesjugendspiele: "Trainiert den Kindern den Leistungsgedanken ab" (Focus-online)
Fleischhauers Antworten sind äußerst leistungsarm und entlarvend. (s. dazu auch M.Rieger "uebermedien.de")

Vom "nationalen Niedergang " ist bei Nikolaus Blome im Spiegel die Rede - durch die links- und gefühlsgetriebene Abschaffung der Bundesjugendspiele.
"Jetzt sind sie für alle Grundschüler Geschichte und an allen weiterführenden Schulen potenziell auch.
Na bravo. Die Bundesjugendspiele ihres traditionellen Wettkampfcharakters beraubt und in Schneeflockenweitpusten verwandelt? Da kann man es auch ganz sein lassen."

"Keine Konkurrenz ums Höher, Schneller, Weiter, sondern irgendwas Lustiges mit »Erlebnischarakter« und »Miteinander«, so hat es die Kultusministerkonferenz beschlossen." (A. Neubacher im "Spiegel")
.
Der "Zeit"-Kolumnist Martenstein entdeckt den neuen Leitsatz der deutschen Sportpädagogik: "Leistungsanforderungen sind nicht mehr zeitgemäß" ( NDR-Kultur (!), 6.7.23). 

Und in Cidero, "dem Magazin für politische Kultur",  wird noch eins draufgelegt: "Die Feinde des Wettkampfs sind keine Freunde der Schüler" ("Cicero", 22.6. 2023).

Auch den Sportwissenschaftler Ingo Froböse scheinen Fakten nicht zu interessieren."Jeder bekommt irgendeine Urkunde" und "Leistungsmessung ist out." (Focus online. 17.7.)

OH je . . . !!!
Steile Thesen statt Sachlichkeit, Recherche und Sorgfalt (Rieger).

Die wirklichen Probleme des Sports an der Schule werden von den "neuen Kritikern" allerdings nicht benannt.
Denn: Es fehlt an ausreichenden Sportstunden (übrigens auch zur Vorbereitung der Bundesjugendspiele), Sportlehrer/innen, Sportstätten. Schwimmunterricht ist oft nicht möglich, die Zahl der Nichtschwimmer/innen nimmt zu. Der Bewegungsmangel von Kindern und Jugendlichen ist in der Coronazeit noch verstärkt worden. Maßnahmen wären dringend erforderlich.
"Wettkampf" oder "Wettbewerb" oder überhaupt keine Bundesjugendspiele, ist dann eher eine untergeordnete Frage.

"Das eigentliche Ärgernis der aktuellen Diskussion über die Bundesjugendspiele ist allerdings darin zu sehen, dass mit dieser Diskussion um den Schulsport der Fokus auf einen einzigen Tag, auf den Tag der Bundesjugendspiele, verkürzt wird und die 40 Wochen in der Grundschule, an der (hoffentlich) 120 Stunden „Mehrperspektivischer Schulsport“ stattfinden sollte, völlig aus dem Blick geraten." (H. Digel)
 

Die Reformbedürftigkeit der Bundesjugendspiele bleibt aus sportpädagogischer Sicht ein wichtiges Thema

Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen und die Teilhabe an der Sport-, Spiel - und Bewegungskultur ist ein zentraler Bezugspunkt im Sportunterricht, der sich auch in den Lehrplänen der Bundesländer wiederfindet. 
Die Bundesjugendspiele (in ihrer gegenwärtigen Form) fügen sich dabei nicht immer stringent ein, auch wenn sich das Handbuch der Bundesjugendspiele explizit auf einen mehrperspektivischen Sportuntericht bezieht. 

Die Diskussion ist also wichtig. Genauso wie die alte Forderung "Mehr Bewegung in die Schule".
Die oben beschriebenen Kritiker/innen bringen uns da wohl kaum weiter.

Übrigens: Am 13.7. reagierte auch der DOSB auf die Kritiker, ohne sie allerdings beim Namen zu nennen.
"Die Änderungen der Bundesjugendspiele für Kinder im Grundschulalter sollen Spaß und Motivation am Sporttreiben erhöhen, ohne auf Vergleiche zu verzichten."
Die "Reform" und die verschiedenen Austragungsformen werden nochmals erklärt.
Lesenswert auch der Beitrag von Ute Barthel "Die bewegenden „neuen“ Bundesjugendspiele", welche die Vorteile der Wettbwerbsform anschaulich erläutert (DOSB 19. 7.).
 

Fortsetzung folgt . . .
Ideen und Vorschläge zu den Bundesjugendspielen bzw. zu einer neuen Sport - und Spielfestkultur
 


 

Eine kleine Auswahl - Presseartikel und Kommentare
 


 

"Wettbewerb" statt "Wettkampf" : Bundesjugendspiele bekommen neuen Anstrich (ZDF, 2.7.23)

Bundesjugendspiele - Der Tag, an dem wir Verlieren lernen (Spiegel, 1.7. 23)
Bundesjugendspiele Willkommen in der Flauschokratie, ihr Lappen (Spiegel 3.7.)

Bundesjugendspiele gehören abgeschafft: Ein traumatisches Ereignis (TAZ, 24. 6.23)
Bildungssenatorin kritisiert Reform der Bundesjugendspiele (Tagesspiegel 5.7. 23)
Bundesjugendspiele sind nicht mehr Wettkampf (Zeit-online, 5.7. 23)
Und wie schlimm war es bei Ihnen? (Zeit, 5.7. 23)
„Es war jedes Mal pure Demütigung“: Wie zeitgemäß sind die Bundesjugendspiele? (RND, 20.6.23)

Sportprofessor: Reform der Bundesjugendspiele "gute Entscheidung" (RBB 24)
Bundesjugendspiele: Weniger Wettkampf, mehr Teamgeist (SWR, 6.7. 23)
Willkommen bei den Bundesthesenspielen! (Der Freitag)

Debatte über Änderung der Bundesjugendspiele hält an (Deutschlandfunk, 6.7. 23)
Teilnehmerurkunde, ade! (Chrismon, 7.7.23)
Keine Wettkämpfe mehr bei Bundesjugendspielen: ein falsches Signal (Sportschau, ARD/SWR, 7.7. 23)
Die Feinde des Wettkampfs sind keine Freunde der Schüler (Cicero 22.6. 23)
Martenstein über die Bundesjugendspiele (NDR-Kultur,6.7.23)
Künftig Wettbewerb statt Wettkampf - Bitte kein leistungsfreies Kinderkuscheln (NOZ 5.7. 23)
Bundesjugendspiele werden zum Sportfest ohne Kräftemessen (Berliner Woche 11.7. 23)
Die Bundesjugendspiele sollen kein Wettkampf mehr sein (Zeit, 12. 7. 23)
Bundesjugendspiele: Was ändert sich zum neuen Schuljahr? (DOSB, 13,7. 2023)
Bundesjugendspiele - Die Degradierung des Schulsports regt mich auf (Focus-online 17.7.)

Die bewegenden „neuen“ Bundesjugendspiele (DOSB, 19.7.)

Medienkritisch und kompetent 
Die Bundeskolumnistenspiele im Thesen-Weitwurf (Maximian Rieger, Über Medien 7.7. 23)

Hintergrund: Leistungsprinzip und Schulsport
Die Bundesjugendspiele sind nicht das Problem (Prof. H. Digel - "sport-nachgedacht.de", 17. 7. 23)
 

 Weitere Links und Fachartikel zu den Bundesjugendspielen
Sportpädagogik-online  -  Bundesjugendspiele
 



Wettkampf, Wettbewerb, Mehrkampf - Erläuterungen
 
 
Bundesjugendspiele.de
Handbuch

  • Wettbewerb - ein sportartspezifischer Vielseitigkeitswettbewerb (Turnen, Leichtathletik oder Schwimmen) als Mehrkampf (4 Bereiche)
  • Wettkampf - ein Dreikampf in der jeweiligen Sportart (normierte Leichtathletik, Übungskombinationen im Turnen mit einer zusätzlichen Partner/Gruppenaufgabe, Streckenschwimmen in verschiedenen Lagen, Streckentauchen) 

  •  
  • Mehrkampf - ein sportartübergreifender Mehrkampf (Leichtathletik, Turnen, Schwimmen). Vielseitige Aufgabenstellungen.


 

Duden - Wettbewerb
"etwas, woran mehrere Personen im Rahmen einer ganz bestimmten Aufgabenstellung, Zielsetzung in dem Bestreben teilnehmen, die beste Leistung zu erzielen, Sieger zu werden."
 

Duden - Wettkampf
"Kampf um die beste [sportliche] Leistung"



 
ZEIT ONLINE (11.7. 2023) 
Interview mit Sportprofessor Nils Neuber

Zukünftig soll es in den Grundschulen einen Wettbewerb statt eines Wettkampfs geben. Was ist der Unterschied?

Neuber: Dass es jetzt Wettbewerb statt Wettkampf heißt, ist eigentlich ein PR-Gag. Ein Wettkampf ist nach der Definition ein faires Sich-Messen mit vorab festgelegten Regeln. Das ist ein Wettbewerb aber auch. In der Sportpädagogik gibt es da keine Unterscheidung. 



Wettkampf - Wettbewerb

H. Digel - Die Bundesjugendspiele sind nicht das Problem

"Dabei sollte man sich erinnern, dass beide Begriffe vom Begriff der „Wette“ abstammen und damit ihren Ursprung im englischen Sport haben, wobei es im englischen Sprachgebrauch mit „competition“ nur einen Begriff dafür gibt und damit die deutsche Sprachverwirrung ausgeschlossen ist. Sucht ein Engländer nach der Bedeutung dieser beiden Begriffe, so wird ihm mitgeteilt, dass beide Wörter „competition“ meinen und „Wettkampf“ ein „sports competition“ ist, den man auch Wettbewerb nennen kann“. ..

Dass wir hier von Synonymen zu sprechen haben, ist somit offensichtlich und man kann sich nur wundern wie die von der in unserer Gesellschaft  höchsten Bildungsinstanz, der Kultusministerkonferenz, ausgelöste Sprachverwirrung von allen Massenmedien und von allen nachgeordneten Institutionen hingenommen wird. An andere deutschsprachige Länder haben sie dabei vermutlich ohnehin nicht gedacht, denn in Österreich spricht man von einem „Bewerb“, wenn von Wettkämpfen im Sport die Rede ist."

Prof. H. Digel, 17.7. 23 - Die Bundesjugendspiele sind nicht das Problem
 



 
 



 
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