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Wettkampf, Leistung und die seltsamen Ansichten eines Kultusministers


Transkript, DLF 18.8. 2024

"Angesichts der deutschen Medaillenbilanz in Paris sind auch die Bundesjugendspiele wieder in die Diskussion geraten.
Die gibt es schon seit vielen Jahren von der Grundschule bis zur zehnten Klasse in Leichtathletik, Schwimmen und oder Turnen.
Manche lieben sie, andere hassen sie. Alle Schulen sind aber verpflichtet, sie durchzuführen, und seit einem Jahr gibt es eine Neuerung für die Klassenstufen 3 und 4. In der Leichtathletik soll es keinen Wettkampf mehr geben, sondern einen Wettbewerb.

Die zuständigen Sportverbände und Sportwissenschaftler, die sich damit beschäftigen, befürworten das.
Aus der Politik gab es teilweise Kritik. Einer dieser Kritiker ist der CDU-Politiker Armin Schwarz.
Er ist Kultusminister in Hessen und mit ihm habe ich vor der Sendung gesprochen."



Rieger 
Herr Schwarz, zu Beginn des Gesprächs könnten sie einmal erklären,
was der Unterschied zwischen einem Wettkampf und einem Wettbewerb ist. 

Schwarz
Beim Wettkampf da ist der Sieger tatsächlich auch der Sieger und bei einem Wettbewerb, und das ist ja das Ergebnis der Reform, gibt es für 20% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ehrenurkunden für 50%, gibt es Siegerurkunden, und 30% gibt es Teilnehmerurkunden.
Danach spielt der Leistungsgedanke wie auch schon in der ersten und zweiten Klasse, ich betone leider bei den Dritt- und Viertklässlern in der Grundschule eine weniger wichtige Rolle. Das heißt, statt Wettkampf nur noch Wettbewerb und mit diesem Schuljahr zählen dort dann nicht mehr genaue Zeiten oder Weiten.
Stoppuhr und Maßband treten damit ein bisschen in den Hintergrund.
Dafür gibt es Zielsprünge, Zonenweitwerf, Beinweitwurf oder Zeitschätzlauf und ich halte das für falsch. Die Bundesjugendspiele sollen den Anreiz geben, sich anzustrengen, an die eigenen Grenzen zu gehen und das Beste aus sich herauszuholen. Das eine Haltung, die sich dann auch auf das ganze Leben abstrahlt und insofern halte ich eine Reform der falschen Reform für zwingend erforderlich. 

Rieger
Aber da möchte ich mal einmal eingreifen, also bei der Leichtathletik. Wenn die Kinder da laufen, dann wird weiterhin die Zeit gemessen, die Stoppuhr ist nicht abgeschafft.

Anders als sie das gerade insinuiert haben und inwiefern unterscheidet sich die Leistung von einem achtjährigen Kind, ob es jetzt beim Weitsprung zentimetergenau gemessen wird oder durch Punkte in den Zonen? Wo immer klar ist, ein Kind was in Zone 4 springt ist besser als ein Kind was in Zone 2 springt.

Schwarz
Ich denke, das zum Schluss maßgeblich um die entsprechende Haltung dahinter geht.
Diejenigen, die die Besten sind, sollen auch die Besten sein…

Rieger
Aber das ist ja weiterhin so. Die Ehrenurkunde gab's vorher und die Ehrenurkunde gibt's
weiterhin. Die Besten kriegen die Ehrenurkunde, die Schlechtesten, die Teilnehmerurkunde. 

Schwarz
Da haben Sie Recht. Nur bei der Ehrenurkunde, die es früher gab, da wurde exakt dann ausgewiesen, wie die Punktzahl ist und dann konnte in einem Klassenverband jeder nachschauen - aha unter den Trägern der Ehrenurkunde ist die Beate oder der Markus tatsächlich die oder der Beste und das ist der Unterschied…

Rieger
Moment, Moment. Wie wird das denn, Moment Herr Schwarz, wie wird das denn jetzt gemacht?

Schwarz
So wie ich sehen, da geschrieben hab ich, wir reden nach der Reform. Ich habe eben schon darauf hingewiesen, ich habe darauf hingewiesen, dass es Zielsprünge gibt, da gibt es dann entsprechende Zonen Zonenweitwurf. Da wird entsprechend dann ausgewiesen, die Zone ist erreicht worden und innerhalb dieser Zone wird dann entsprechend bepunktet. 

Rieger
Genau und bei der Ehrenurkunde, ich war gerade bei der Ehrenurkunde. Was, was sehen die Kinder auf der Ehrenurkunde?
Jetzt, wenn sie sagen es ist, da wird keine Leistung mehr abgebildet.

Schwarz
Man sieht dort, dass man die Ehrenurkunde gewonnen hat, mehr nicht.
Wie gesagt, die Ehrenurkunde wird verliehen. Es gibt drei Kategorien: Ehrenurkunde, Siegerurkunde und dann eine entsprechende Teilnehmerurkunde

Rieger
Und auf der Ehrenurkunde steht aber auch gleichzeitig genauso wie übrigens auf der Teilnehmerurkunde, dass z.B ein Kind, wenn es 26 Kinder in der Klasse sind, Platz 23 erreicht hat bei einer Teilnehmerurkunde. Also es ist genau nicht das, was Sie gesagt haben. Da kriegt ein Achtjähriger weiterhin im Zweifel gesagt, du bist der drittschlechteste in der Klasse.
Wie viel mehr Leistung wollen Sie denn noch für ein Grundschulkind? 


Schwarz
Es geht tatsächlich darum, dass man den Spaß am Sport kombiniert mit dem unbedingten Willen auch tatsächlich Spitzenleistung zu bringen.


Rieger
Und inwiefern verhindert das jetzige System das, was ich gerade beschrieben habe? Die Kinder müssen immer noch Leistung bringen, um in eine weite Zone zu springen, sie werden weiterhin bewertet und am Ende kriegen sie weiterhin gesagt, in welcher Relation ihre Leistung zu den anderen in der Klasse ist.
Inwiefern entspricht das nicht einem... 

Schwarz
Die Relation wird halt dementsprechend nicht mehr so erklärt, wie es vorher der Fall war.
Mit Verlaub - die Tatsache, dass man versucht, dass diejenigen, die nicht so gut sind, sich dann
entsprechend als die Verlierer fühlen, das soll ja damit verhindert werden. Das ist ja genau der Punkt, der damit einhergeht, und ich will es noch mal so sagen: Die Grundidee bloß nicht zu scheitern oder bloß nicht zu verlieren, nützt gar nichts hinsichtlich einer zwingend erforderlichen Lebenstüchtigkeit, die ja durch Schule, aber auch durch den Sport natürlich zu fördern und zu unterstützen ist. 

Rieger
Aber ich verstehe das immer noch nicht. Das schlechteste Kind kriegt auf dem Zeugnis gesagt, es ist der 26. Kind in der Klasse mit 26. Reicht, ihnen also, was wollen Sie denn noch mehr haben?

Schwarz
Also diese Aussage, wo sie das jetzt hernehmen, dass auf der entsprechenden Urkunde das ausgewiesen ist, das ist wahrscheinlich dann ein besonderes Phänomen, was sie entsprechend ausweisen. 

Rieger
Nein, nein, nein Herr Schwarz. Herr Schwarz, nein, nein, das denke ich mir nicht aus. Das steht genauso im Handbuch der Bundesjugendspiele genauso drin.

Wir machen mal weiter. Wir haben gestern mit Johannes Herber, dem Geschäftsführer der
Athletenvereinigung „Athleten Deutschland“gesprochen. Er hat gesagt - Zitat: „ich habe
noch keinen Olympia- oder Paralympicsieger kennengelernt, der gesagt hat die
Bundesjugendspiele waren die Initialzündung für ihre sportliche Karriere. Das ist für mich eine absolute Scheindebatte die uns nicht weiterbringt.“

Warum führen Sie diese Debatte?

Schwarz
Ich führe die Debatte, weil es nicht nur viele gibt die sich mit der Materie befassen, wie beispielsweise Professor Froböse, der genau die ...

Rieger
Professor Froböse hat zum Thema Bundesjugendspiele, soweit ich das gesehen habe, nicht publiziert.

Schwarz
Herr Professor Froböse geht genau, was den Leistungsgedanken betrifft, in die Richtung, die ich eben gerade beschrieben habe und es geht exakt darum und wenn Sie jetzt genau zuhören oder wenn Sie genau hinschauen, was auch beispielsweise Größen wie Michael Groß, Olympiasieger 84 und 88 mit sechs Medaillen, dazu sagt, ist das alles sehr eindeutig.
Der kommt ja nun auch von einer Schwimmtätigkeit aus Vereinsebene und er sagte ausdrücklich, Bundesjugendspiele spielen da eine wesentliche Rolle auch zu erkennen wie dort entsprechende Leistung in den Sportunterricht aber auch bei Wettkämpfen gezeigt werden.
Und dieses Talentscouting durch die Sportlehrerin oder den Sportlehrer, dann zu sagen, pass auf, das ist eine mögliche Sportart wo du besonders talentiert bist, du bist besonders groß du hast besondere Talente und insofern dann auch in Kooperation mit den Vereinen zu treten, um zu unterstützen und zu lenken, darum geht es bei dem Gedanken diese Reform herzuleiten bzw. die Reform zurückzuführen.

Rieger
Jetzt haben wir beide anekdotische Evidenz geliefert. Ich könnte noch die Zitate von den Praktikern aus Hessen sagen, die das alle nicht verstehen können. An diversen Schulen hat die Offenbacher Post mal nachgefragt. Die können Ihren Vorschlag nicht nachvollziehen, aber das bringt uns ja im Zweifel auch nicht weiter. Deswegen die Frage mal generell zur Datengrundlage. Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen dazu, wie Kinder die Bundesjugendspiele finden oder wie sich
das dann tatsächlich auf die Leistungsbereitschaft auswirkt?
Liegen die ihn vor?


Schwarz
Na ja, wir haben ja angefangen mit Olympiade und wir haben weiter gemacht mit Bundesjugendspiele und wenn wir jetzt mal die Geschichte etwas anderes erzählen und mal drüber nachdenken, dass wir jetzt bei der Olympiade in Paris das schlechteste Ergebnis seit 1952 erzielt haben, muss man im Umkehrschluss ja noch mal die Frage stellen dürfen, was machen wir möglicherweise bei der Sportförderung verkehrt, was machen andere?


Rieger
Die Reform, über die wir jetzt gerade gesprochen haben, wurde im letzten Jahr ja verändert für Dritt- und Viertklässler.
Kein Zehnjähriger hat bei Olympia teilgenommen, ich frage noch mal: gibt es eine wissenschaftliche Grundlage dafür? Liegt die ihnen vor gibt es Studien dazu wie Kinder die Bundesjugendspiele finden, wie sich das auf die Leistungsbereitschaft auswirkt?

Schwarz
Es geht nicht darum um die Frage wie die …

Rieger
Doch im Moment geht's darum, um diese Frage.

Schwarz
Sie haben sich abgestützt auf Verbände, die entsprechend sich dazu äußern. Sie haben kein Kind zitiert oder Klassen zitiert, die entsprechend darauf eingeht. Ich weiß von Kindern und das erlebt man einfach als Schulpraktiker, dass sie sich sehr wohl messen wollen, dass sie sehr wohl den Wettkampf schätzen und zum Schluss auch beim Mannschaftssport haben wollen, dass dort die Tore zählen und zum Schluss man weiß, wer gewonnen hat.

Rieger
Aber das passiert immer noch sie haben immer noch nicht meine Frage beantwortet. Gibt es wissenschaftliche Studien, ich möchte keine anekdotische Evidenz, gibt es wissenschaftliche Studien, die sie kennen zu den Bundesjugendspielen? Ich habe nämlich, deswegen frage ich, ich habe keine gefunden. Argumentieren wir die ganze Zeit eigentlich immer nur auf anekdotischen Evidenzen. Da können wir ganz viele finden. Warum gibt es so eine Studie nicht, mal anders gefragt.

Schwarz
Noch mal, die Reform die diesem Jahr gegriffen hat, basiert auch nicht auf entsprechenden Studien, sondern man hat mit einer Geistes..

Rieger
Das macht es ja nicht besser.

Schwarz
Ja, das mag ja sein. Man hat mit einer entsprechenden Geisteshaltung, bloß keine Niederlage, bloß kein Scheitern, bloß nicht lernen zu verlieren diese Reform herbeigeführt und es analog gemacht so wie es in der ersten und zweiten Klasse bereits ist, kann man einen unterschiedlichen Ansatz zum Leistungsgedanken haben. Das muss man zweifelsohne ausdiskutieren.
Ich kann nur feststellen, auch im Zusammenhang der Kultusministerkonferenz habe ich breite Unterstützung bekommen. Unter anderem aus Bayern, unter anderem aus Nordrheinwestfalen oder aus Sachsen wo gesehen wird zum Schluss geht es um eine Geisteshaltung, dass wir mit einer Reform, damit wir da eine Klarheit rein bekommen und die wir nicht dem luftleeren Raum hier diskutieren und über Anekdoten sprechen.
Ich finde, das ist jetzt auch der Sache nicht ganz angemessen, es geht darum, dass wir glaube ich eine besondere Haltung zur Leistung im positiven Sinne bekommen sollten und diese besondere Leistung dann auch als etwas ganz Besonderes zu zeigen. Also ..

Rieger
Ich höre daraus, es gibt keine Studien, das wird alles nach Bauchgefühl argumentiert.

Schwarz
Es wird nicht nach Gefühl argumentiert, sondern es wird nach Ergebnis argumentiert und dass die Sportergebnisse, die wir abliefern in Summe nicht besser werden, ist glaube ich, kein Gefühl, sondern ein Fakt.

Rieger
sagt der hessische Kultusminister Armin Schwarz von der CDU, hier im Deutschlandfunk.






 Weitere
Links und Fachartikel zu den Bundesjugendspielen

Rolle rückwärts oder Ablenkungsmanöver? Daniel Möllenbeck in der Zeitschrift "Sportunterricht" 9/2024.
Kulturkampf. Die Bundestugendspiele - Eine Kolumne von Christian Stöcker (Spiegel)
Bundesjugendspiele: Ist die Kritik an der Reform gerechtfertigt? (DLF, 19.8. 2024)
 
Die bewegenden „neuen“ Bundesjugendspiele - Bundesjugendspiele werden nicht abgeschafft (DOSB, 19.7.23)
Bundesjugendspiele - Anmerkungen zu den "neuen Kritikern"-  Ende des Leistungsgedankens? 
Wettkampf der Ahnungslosen oder politische Funktionalisierung?
Die Bundesjugendspiele sind nicht das Problem (Prof. H. Digel - "sport-nachgedacht.de")
„Leichtathletik-Bundesjugendspiele – kindgemäß, zeitgemäß, attraktiv“ (Broschüre DLV, 2024)
 
Sportpädagogik-online - Bundesjugendspiele
Bundesjugendspiele - Offizielle Webseite






 


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