Muskeln, Gene und Leistungssport
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Beeinflusst wird die Kontraktionsgeschwindigkeit der Muskelfasern durch die unterschiedliche Geschwindigkeit, mit der an der schweren Myosinkette Adenosintriphosphat (ATP) gespalten und damit verbraucht wird. Diese Substanz ist der universelle Energielieferant aller Zellen. Da Typ-I-Fasern ihr ATP langsamer spalten und vorwiegend über einen Sauerstoff verbrauchenden Stoffwechselweg neu gewinnen, eignen sie sich vor allem für Ausdauersport wie Langstreckenlaufen, Radfahren oder Schwimmen. Schnelle Fasern hingegen mit ihrem hohen Verbrauch ermüden rascher, können aber kurzfristig über einen sauerstofflosen – anaeroben – Stoffwechselweg mehr Reserven mobilisieren. Ihnen kommt daher eine Schlüsselfunktion bei Kurzzeitbeanspruchungen wie Gewichtheben oder Sprinten zu. Ein gesunder erwachsener
Durchschnittsmensch verfügt etwa über ebenso viele langsame wie
schnelle Fasern, zum Beispiel im vorderen Oberschenkelmuskel, dem vierköpfigen
Schenkelstrecker. Allerdings bestehen auch große individuelle
Unterschiede im Aufbau typgleicher Muskeln. So fanden wir im Oberschenkelmuskel
eine Spanne von nur 19 Prozent langsamen Fasern bis hin zu bemerkenswerten
95 Prozent – ideal für den Marathon, aber schlecht für den Hundertmeterlauf.
Der Stoff, aus dem Muskeln
sind
Die Vorgeschichte reicht bis in die sechziger Jahre zurück. Damals zeigten mehrere Wissenschaftler, unter ihnen der Medizinnobelpreisträger von 1963 John C. Eccles von der australischen National Universität in Canberra, dass sich bei tierischen Skelettmuskeln langsame und schnelle Fasertypen ineinander umwandeln lassen. Die Forscher bedienten sich dabei hauptsächlich der so genannten Kreuz-Innervation. Sie vertauschten die Nerven zwischen einem insgesamt langsamen und einem insgesamt schnellen Muskel. Verblüffenderweise kehrten sich deren Kontraktionseigenschaften um. Ferner reizten die Forscher jeweils einen Muskel elektrisch über längere Zeit, um ihn zu aktivieren. Oder sie durchtrennten seinen Nerv, um das Gegenteil zu erreichen. In den siebziger und achtziger Jahren verschob sich dann der Schwerpunkt auf menschliche Muskulatur und dort vor allem auf die Frage, wieweit auch unsere Muskelfasern ihre Größe und Eigenschaften ändem können. Diese allgemein als Plastizität bezeichnete Fähigkeit offenbart sich im Extrem nach einer Querschnittlähmung. Die betreffenden, Muskeln schwinden dann rapide, weil die fehlenden Nervenimpulse sie untätig machen. Etwas unerwartet verändert sich aber auch der Muskeltyp; und zwar so, dass sich der Anteil der langsamen Myosinvariante zu Gunsten der schnelleren deutlich verringert... Auch in gesunden Muskeln
wandeln sich Fasertypen um.
Anfang der neunziger Jahre machte Geoffrey Goidspink vom Royal Free Hospital in London den Vorschlag, die Expression des IIx-Gens als eine Art Grundeinstellung zu betrachten. Die Ergebnisse verschiedener Studien stützten seine Hypothese: Zum einen weisen Personen, die sehr viel sitzen, einen höheren Gehalt an Myosin IIx in ihren Muskeln auf als sportlich aktive Menschen; zum anderen wächst die Konzentration von Myosin IIa mit der Muskelaktivität. Was geschieht aber nach Beendigung einer Trainingsperiode? Schalten die Muskelzellen dann wieder allmählich auf ihre IIx-Grundeinstellung um? Die Antwort lautet grundsätzlich ja, aber auf einem Umweg, wie unsere Studie mit neun jungen inaktiven Dänen zeigte. Zu Beginn entnahmen wir eine
erste Gewebeprobe aus dem äußeren Teil des Schenkelstreckers.
Der Anteil an schnellem Myosin Ilx betrug darin durchschnittlich neun Prozent.
Die zweite Entnahme erfolgte nach einem dreimonatigen Krafttraining zur
Stärkung des Oberschenkelstreckers, eine dritte dann ein Vierteljahr
nach Trainingsende, ab dem die Versuchspersonen ihre alte Lebensweise wieder
aufgenommen hatten. Erwartungsgemäß reduzierte sich der Anteil
der schnellen IIx-Isoform während des Krafttrainings in dem Muskel,
und zwar von durchschnittlich neun auf etwa zwei Prozent. Zu unserer Überraschung
stieg er aber nach dreimonatiger Inaktivität nicht nur wieder bis
zum Ausgangswert, sondern weit darüber hinaus: auf durchschnittlich
18 Prozent.
Von langsamen zu schnellen
Fasern?
Die gegenseitige Umwandlung der beiden schnellen Muskelfaser-Typen IIa und IIx erfolgt also je nach körperlicher Aktivität. Ist aber auch eine Konversion von langsamen in schnelle Fasern - von Typ I zu Typ II - und umgekehrt - möglich? Zahlreiche frühere Experimente hierzu an menschlichen Muskeln waren negativ verlaufen. Erst zu Beginn der neunziger Jahre entdeckten wir erste Hinweise, dass sich durch hartes Training auch langsame in mittelschnelle Fasern vom Typ IIa umwandeln lassen. Unsere Probanden während einer dreimonatigen Studie waren Elite-Sprinter. Sie absolvierten ihr normales Trainingsprogramm. Etwa zur selben Zeit präsentierten
Mona Esbörnsson und ihre Kollegen vom Karolinska-Institut in Stockholm
ähnliche Ergebnisse aus einer Untersuchung mit zwölf Teilnehmern,
die keine Hochleistungssportler waren. Dies lässt darauf schließen,
dass ein intensives Training mit Gewichten, ergänzt um weitere anaerobe
Übungen, wie beim Training von Elite-Sprintern nicht nur eine Umwandlung
von schnellen Fasern in mittelschnelle bewirkt, sondern auch von langsamen
Fasern in mittelschnelle.
Vielleicht haben ja begnadete Marathonläufer oder Sprinter wirklich von Geburt an eine außergewöhnliche Muskelzusammensetzung: Dann würden sich künftige Langstreckler natürlich durch eine verhältnismäßig hohe Typ-I-Faserdichte auszeichnen und künftige Sprinter durch eine geringe. Wer sich aber trotzdem zur Kurzstrecke hingezogen fühlt, sollte nicht aufgeben. Wissenschaftler haben, nämlich herausgefunden, dass sich bei entsprechendem Krafttraining die Typ-II-Fasern doppelt so stark verdicken wie die anderen. Deshalb vergrößert ein Training mit Gewichten beträchtlich die Fläche, die Typ-II-Fasern auf dem Querschnitt eines Muskels einnehmen, ohne dass sich dabei das Zahlenverhältnis von schnellen zu langsamen Fasern verändert. Gerade das Flächenverhältnis zwischen beiden ist aber für die funktionellen Eigenschaften des Muskels entscheidend: je großer die von schnellen Fasern abgedeckte Querschnittsfläche, desto schneller ist der ganze Muskel. Somit hat zumindest jeder Sprinter die Möglichkeit, die Eigenschaften seiner Muskulatur durch Krafttraining in dieser Hinsicht zu optimieren... Alles in allem ist die Umwandlung von IIa- zu I-Fasern wohl nur schwer durch Training zu erreichen, aber schon in nicht allzu ferner Zukunft könnte dies durch gentechnische Eingriffe möglich werden. ..." Spektrum der Wissenschaft 3/2001
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