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Muskelfasern unterscheiden
sich in ihrer Kontraktionsgeschwindigkeit. Hierfür ist nun die chemische
Zusammensetzung des Myosinmoleküls entscheidend, und zwar speziell
seine größte Teilkomponente, die so genannte schwere Kette.
Sie tritt beim Erwachsenen in drei unterschiedlichen Ausprägungen
auf: den Isoformen I, IIa und IIx (auch IId genannt). Diese Unterteilung
gilt dann auch für die entsprechenden
Muskelfasern: Enthalten sie eine der beiden Formen vom Typ II, spricht
man von schnellen Fasern, bei Typ I hingegen von langsamen. Diese Klassifizierung
ist durchaus berechtigt, wenn man bedenkt, dass der träge Fasertyp
sich etwa zehnmal langsamer verkürzt als der schnellste der schnellen,
nämlich Typ IIx. Die Geschwindigkeit von Typ-IIa-Fasern liegt dazwischen.
Neben den drei reinen Fasertypen gibt es auch Mischfasern mit je zwei unterschiedlichen
Myosin-Isoformen. Ihre funktionellen Eigenschaften richten sich im Allgemeinen
nach dem jeweils dominanten Myosintyp. |
Beeinflusst wird die Kontraktionsgeschwindigkeit
der Muskelfasern durch die unterschiedliche Geschwindigkeit, mit der an
der schweren Myosinkette Adenosintriphosphat
(ATP) gespalten und damit verbraucht wird. Diese Substanz ist der universelle
Energielieferant aller Zellen. Da Typ-I-Fasern ihr ATP langsamer spalten
und vorwiegend über einen Sauerstoff verbrauchenden Stoffwechselweg
neu gewinnen, eignen sie sich vor allem für Ausdauersport wie Langstreckenlaufen,
Radfahren oder Schwimmen. Schnelle Fasern hingegen mit ihrem hohen Verbrauch
ermüden rascher, können aber kurzfristig über einen sauerstofflosen
– anaeroben – Stoffwechselweg mehr Reserven mobilisieren. Ihnen kommt daher
eine Schlüsselfunktion bei Kurzzeitbeanspruchungen wie Gewichtheben
oder Sprinten zu.
Ein gesunder erwachsener
Durchschnittsmensch verfügt etwa über ebenso viele langsame wie
schnelle Fasern, zum Beispiel im vorderen Oberschenkelmuskel, dem vierköpfigen
Schenkelstrecker. Allerdings bestehen auch große individuelle
Unterschiede im Aufbau typgleicher Muskeln. So fanden wir im Oberschenkelmuskel
eine Spanne von nur 19 Prozent langsamen Fasern bis hin zu bemerkenswerten
95 Prozent – ideal für den Marathon, aber schlecht für den Hundertmeterlauf.
Muskelfasern,
also Muskelzellen, sind außer Stande, sich durch Zellteilung zu vermehren.
Gehen sie durch Krankheit oder Alter verloren, können keine neuen
mehr entstehen (siehe Anhang). Ein Muskel kann daher nur an Masse zulegen,
wenn sich seine vorhandenen Fasern verdicken. Und das geschieht vorwiegend
durch Produktion zusätzlicher Myofibrillen. Angeregt wird diese Produktion
durch körperliche Anstrengung, durch Training beispielsweise. Es belastet
Sehnen und andere mit dem Muskel verbundene Strukturen mechanisch. Über
eine Kaskade von Signalproteinen werden dadurch letztlich unterschiedliche
Gene aktiviert werden, die dann wiederum die vermehrte Bildung von kontraktilen
Proteinen veranlassen. Dabei handelt es sich zumeist um Myosin und Aktin
für den Aufbau neuer Myofibrillen.
Eine vehement gesteigerte
Proteinsynthese verlangt aber in Muskelfasern nach mehr Zellkernen – auch
um ein gewisses Verhältnis zwischen dem dann stark wachsenden Zellvolumen
und der Anzahl der Kerne aufrecht zu erhalten. Da sich jedoch weder diese
Kerne noch die Muskelfasern selbst teilen können, greift der Organismus
auf teilungsfähige Satellitenzellen zurück. Diese liegen den
Muskelfasern außen an oder wandern eventuell auch in Form anderer
Stammzellen zu. Bei Bedarf können sie mit ihrem großen Nachbarn
verschmelzen und so deren Dickenwachstum durch "Kernspende" unterstützen.
Diese Quelle neuer Zellkerne
sprudelt bemerkenswerterweise immer dann besonders stark, wenn hartes Muskeltraining
die Fasern strapaziert hat. Einer gängigen Theorie zufolge entstehen
nämlich dabei winzige Risse, so genannte Mikroläsionen, die wie
ein Magnet auf die spinnenförmigen Satellitenzellen wirken. Diese
wandern zu der verletzten Region und beginnen dort, Proteinmaterial zur
Reparatur herzustellen. Außerdem teilen sie sich. Einige von ihnen
verschmelzen mit den Fasern, andere verbleiben weiterhin als Satelliten
außerhalb. Die gespendeten Zellkerne, die übrigens von den bereits
enthaltenen nicht zu unterscheiden sind, schaffen die Voraussetzung zur
groß angelegten Produktion von weiteren Proteinen und damit von zusätzlichen
Myofibrillen in der Faser.
Für die Produktion greift
die Muskelzelle, genau wie jede andere Zelle, auf die Bauanweisung der
jeweils zuständigen Gene im Zellkern zurück. Von dort geht eine
Abschrift an die Proteinfabriken im Zellplasma. Fachleute bezeichnen die
Schritte vom Gen zum Protein als Expression, als Ausprägung.
Der Stoff, aus dem Muskeln
sind
Das wissenschaftliche Interesse
an Skelettmuskeln konzentriert sich unter anderem auf zwei, besonders auch
für Sportler interessante Fragen: Wie können Muskeln durch Training
und andere Reize aufgebaut werden, und wie kann sich däbei ein Fasertyp
in einen anderen umwandeln?
Die Vorgeschichte reicht
bis in die sechziger Jahre zurück. Damals zeigten mehrere Wissenschaftler,
unter ihnen der Medizinnobelpreisträger von 1963 John C. Eccles von
der australischen National Universität in Canberra, dass sich bei
tierischen Skelettmuskeln langsame und schnelle Fasertypen ineinander umwandeln
lassen. Die Forscher bedienten sich dabei hauptsächlich der so genannten
Kreuz-Innervation. Sie vertauschten die Nerven zwischen einem insgesamt
langsamen und einem insgesamt schnellen Muskel. Verblüffenderweise
kehrten sich deren Kontraktionseigenschaften um. Ferner reizten die Forscher
jeweils einen Muskel elektrisch über längere Zeit, um ihn zu
aktivieren. Oder sie durchtrennten seinen Nerv, um das Gegenteil zu erreichen.
In den siebziger und achtziger
Jahren verschob sich dann der Schwerpunkt auf menschliche Muskulatur und
dort vor allem auf die Frage, wieweit auch unsere Muskelfasern ihre Größe
und Eigenschaften ändem können. Diese allgemein als Plastizität
bezeichnete Fähigkeit offenbart sich im Extrem nach einer Querschnittlähmung.
Die betreffenden, Muskeln schwinden dann rapide, weil die fehlenden Nervenimpulse
sie untätig machen. Etwas unerwartet verändert sich aber auch
der Muskeltyp; und zwar so, dass sich der Anteil der langsamen Myosinvariante
zu Gunsten der schnelleren deutlich verringert.
Wie wir unter anderem nachgewiesen
haben, enthält nach fünf bis zehn Jahren Lähmung ein bestimmter
"Untermuskel" des vierteiligen Schenkelstreckers - der äußere
Schenkelmuskel - oft fast kein langsames Myosin mehr, während sonst
durchschnittlich die Hälfte seiner Zellen zum langsamen Typ gehört.
Daraus schlossen wir, dass es einlaufender elektrischer Impulse bedarf,
damit Muskelzellen ihr langsames Myosin stets nachproduzieren können.
Tatsächlich vermag dann beispielsweise eine künstliche Elektrostimulation
der gelähmten Muskeln den Anteil langsamen Myosins wieder etwas zu
erhöhen.
Auch in gesunden Muskeln
wandeln sich Fasertypen um. Beispielsweise verändert wiederholtes
schweres Krafttraining - etwa das Arbeiten mit Gewichten - die Anzahl schneller
IIx-Fasern: Sie wandeln sich in mittelschnelle IIa-Fasern um. In ihren
Zellkernen wird dann anstelle des IIx-Gens das IIa-Gen abgelesen. Absolviert
jemand ein solches Krafttraining mindestens vier Wochen lang, dann wandeln
sich sogar alle schnellen in mittelschnelle Fasern um. Gleichzeitig produzieren
diese vermehrt Proteine, sodass die einzelnen Muskelzellen dicker werden.
Anfang der neunziger Jahre
machte Geoffrey Goidspink vom Royal Free Hospital in London den Vorschlag,
die Expression des IIx-Gens als eine Art Grundeinstellung zu betrachten.
Die Ergebnisse verschiedener Studien stützten seine Hypothese: Zum
einen weisen Personen, die sehr viel sitzen, einen höheren Gehalt
an Myosin IIx in ihren Muskeln auf als sportlich aktive Menschen; zum anderen
wächst die Konzentration von Myosin IIa mit der Muskelaktivität.
Was geschieht aber nach
Beendigung einer Trainingsperiode? Schalten die Muskelzellen dann wieder
allmählich auf ihre IIx-Grundeinstellung um? Die Antwort lautet grundsätzlich
ja, aber auf einem Umweg, wie unsere Studie mit neun jungen inaktiven Dänen
zeigte.
Zu Beginn entnahmen wir
eine erste Gewebeprobe aus dem äußeren Teil des Schenkelstreckers.
Der Anteil an schnellem Myosin Ilx betrug darin durchschnittlich neun Prozent.
Die zweite Entnahme erfolgte nach einem dreimonatigen Krafttraining zur
Stärkung
des Oberschenkelstreckers, eine dritte dann ein Vierteljahr nach Trainingsende,
ab dem die Versuchspersonen ihre alte Lebensweise wieder aufgenommen hatten.
Erwartungsgemäß reduzierte sich der Anteil der schnellen IIx-Isoform
während des Krafttrainings in dem Muskel, und zwar von durchschnittlich
neun auf etwa zwei Prozent. Zu unserer Überraschung stieg er aber
nach dreimonatiger Inaktivität nicht nur wieder bis zum Ausgangswert,
sondern weit darüber hinaus: auf durchschnittlich 18 Prozent (siehe
Diagramm auf dieser Seite oben). Zwar haben wir danach keine Proben mehr
entnommen; doch gehen wir davon aus, dass der Gehalt an Myosin-IIx schließlich
nach ein paar weiteren Monaten auf seinen "Ruhewert" von rund neun Prozent
zurückkehrt.
Von langsamen zu schnellen
Fasern?
Noch fehlt uns eine schlüssige
Erklärung für diese überschießende Reaktion. Es lassen
sich jedoch einige praktische Schlussfolgerungen aüs dem Experiment
ziehen. Zum Beispiel wären Sprinter, die den Anteil ihrer schnellsten
Muskelfasern massiv erhöhen wollen, gut beraten, den vorhandenen Anteil
zunächst durch Training zu vermindern, um dann während einer
Ausklingphase auf die Verdopplung zu warten. Tatsächlich reduzieren
viele Sprinter ihr Trainingsprogramm vor einem Wettkampf einfach aus Erfahrung,
ohne dabei die physiologischen Hintergründe zu kennen.
Die gegenseitige Umwandlung
der beiden schnellen Muskelfaser-Typen IIa und IIx erfolgt also je nach
körperlicher Aktivität. Ist aber auch eine Konversion von langsamen
in schnelle Fasern - von Typ I zu Typ II - und umgekehrt - möglich?
Zahlreiche frühere Experimente hierzu an menschlichen Muskeln waren
negativ verlaufen. Erst zu Beginn der neunziger Jahre entdeckten wir erste
Hinweise, dass sich durch hartes Training auch langsame in mittelschnelle
Fasern vom Typ IIa umwandeln lassen. Unsere Probanden während einer
dreimonatigen Studie waren Elite-Sprinter. Sie absolvierten ihr normales
Trainingsprogramm.
Etwa zur selben Zeit präsentierten
Mona Esbörnsson und ihre Kollegen vom Karolinska-Institut in Stockholm
ähnliche Ergebnisse aus einer Untersuchung mit zwölf Teilnehmern,
die keine Hochleistungssportler waren. Dies lässt darauf schließen,
dass ein intensives Training mit Gewichten, ergänzt um weitere anaerobe
Übungen, wie beim Training von Elite-Sprintern nicht nur eine Umwandlung
von schnellen Fasern in mittelschnelle bewirkt, sondern auch von langsamen
Fasern in mittelschnelle.
Ist aber auch das Umgekehrte
beim Menschen machbar? Lassen sich also durch spezielle Übungen mittelschnelle
in langsame Fasern verwandeln? Diese Frage konnte bisher noch keine Untersuchung
eindeutig beantworten. Das schließt aber die Möglichkeit einer
solchen Umwandlung nicht aus. Wie erwähnt besitzen Top-Athleten in
Ausdauersportarten generell einen bemerkenswert hohen Anteil an langsamen
Fasern in ihren Hauptmuskelpaketen - bis zu 95 Prozent. Unklar ist aber
weiterhin, ob diese Menschen mit zahlreichen Typ-I Fasern geboren wurden
und sich dementsprechend zum Ausdauersport hingezogen fühlten oder
ob sie sich den hohen Anteil allmähIich erarbeitet haben. Wir wissen
nur, dass eine Umwandlung von mittelschnellen in langsame Fasern, wenn
sie denn möglich ist, deutlich länger dauert als die von schnellen
in mittelschnelle Fasern.
Vielleicht haben ja begnadete
Marathonläufer oder Sprinter wirklich von Geburt an eine außergewöhnliche
Muskelzusammensetzung: Dann würden sich künftige Langstreckler
natürlich durch eine verhältnismäßig hohe Typ-I-Faserdichte
auszeichnen und künftige Sprinter durch eine geringe. Wer sich aber
trotzdem zur Kurzstrecke hingezogen fühlt, sollte nicht aufgeben.
Wissenschaftler haben, nämlich herausgefunden, dass sich bei entsprechendem
Krafttraining die Typ-II-Fasern doppelt so stark verdicken wie die anderen.
Deshalb vergrößert ein Training mit Gewichten beträchtlich
die Fläche, die Typ-II-Fasern auf dem Querschnitt eines Muskels einnehmen,
ohne dass sich dabei das Zahlenverhältnis von schnellen zu langsamen
Fasern verändert. Gerade das Flächenverhältnis zwischen
beiden ist aber für die funktionellen Eigenschaften des Muskels entscheidend:
je großer die von schnellen Fasern abgedeckte Querschnittsfläche,
desto schneller ist der ganze Muskel. Somit hat zumindest jeder Sprinter
die Möglichkeit, die Eigenschaften seiner Muskulatur durch Krafttraining
in dieser Hinsicht zu optimieren...
Alles in allem ist die Umwandlung
von IIa- zu I-Fasern wohl nur schwer durch Training zu erreichen, aber
schon in nicht allzu ferner Zukunft könnte dies durch gentechnische
Eingriffe möglich werden. ..."
Spektrum der Wissenschaft 3/2001
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