Vorsprung in den Genen


Warum setzen manche Menschen beim Training mühelos Muskeln an, während andere fett bleiben?
Ärzte fanden die Antwort in einer Erbanlage für Körperkraft.
 
Eero Mäntyranta sah nicht aus wie ein geborener Sieger. Der finnische Skilangläufer maß nur 1,68 Meter und musste stets zu seinen Konkurrenten aufschauen. Dennoch: Der Spott der Loipe wurde zu einem der erfolgreichsten Skilangläufer aller Zeiten. Mit seinen kurzen Beinen siegte er etwa bei den Olympischen Winterspielen 1964 in Innsbruck über die 15- und die 30-Kilometer-Distanz.
Drei Jahrzehnte nach den Triumphen, von denen Finnen heute noch schwärmen, entdeckten Forscher der Universität Helsinki das Erfolgsgeheimnis des kleinen Mannes: Die Biologie hat Mäntyranta bereits einen Vorsprung in die Wiege gelegt; er kam mit einem natürlichen Dauer-Doping auf die Welt.

Der heute 61-Jährige besitzt verkürzte Rezeptoren für ein Hormon namens Erythropoetin, das die Herstellung roter Blutkörperchen ankurbelt. Als Folge zirkulieren im Körper des Finnen abnorm große Mengen roter Blutkörperchen. Die versorgten seine Muskel auch dann noch mit Sauerstoff, wenn die Gegner längst blau angelaufen waren.

Während Mäntyranta von einer verschwindend seltenen Mutation profitierte, haben englische Mediziner jetzt ein zweites "Sportler-Gen" aufgespürt, das weitaus häufiger ist. Mindestens jeder vierte Europäer trägt es im Erbgut. Erstmals scheint damit erklärbar, warum manchen Menschen bereits nach wenigen Trainingsstunden die Muskeln schwellen, während sich andere ohne vorzeigbaren Erfolg im Fitness-Studio plagen.

Solche Unterschiede beobachtete die Gruppe um Hugh Montgomery vom Rayne Institute in London nun auch unter 58 hellhäutigen britischen Rekruten, nachdem diese elf Wochen lang trainiert hatten. Bei 35 Soldaten schlug der Körperdrill prächtig an; sie steigerten die Effizienz ihrer Muskeln um durchschnittlich acht Prozent. Die 23 anderen vermochten ihre Fitness indes nicht zu erhöhen.

Offenbar liegt die Ungleichheit in den Genen: Die Sportskanonen tragen allesamt die lange Variante des so genannten Angiotensin-Konversionsenzyms (ACE); sie haben jeweils eine Kopie von Mutter und Vater geerbt. Die Trainingsresistenten besitzen dagegen nur verkürzte Fassungen. Das Enzym schwimmt im Blut und reguliert dort den Wasserhaushalt und den Blutdruck. Doch es findet sich auch in den Muskeln.

Auf welchem biochemischen Weg die lange ACE-Variante die körperliche Leistungskraft steigert, darüber spekulieren die Sportmediziner noch. Klar ist nur, dass die lange Enzymform nicht so effektiv arbeitet wie die kurze. Offenbar führt aber gerade das dazu, dass die Muskelfasern rascher wachsen.

Der Effekt wirkt so stark, dass die genetische Ausstattung offenkundig den sportlichen Werdegang vorbestimmt. Das haben die Londoner Mediziner durch Gentests an Bergsteigern nachgewiesen. Unter 33 britischen Gipfelstürmern, die schon einmal ohne Sauerstoffmaske höher als 7000 Meter geklettert waren, tragen knapp 50 Prozent das Sportler-Gen. Damit kommt es unter ihnen doppelt so häufig vor wie in der Kontrollgruppe. Auch unter 64 australischen Ruderern spürten Ärzte das längere ACE-Gen überdurchschnittlich oft auf.

"Die Bedeutung unserer Ergebnisse geht über sportliche Aktivitäten hinaus", erklärt Montgomery. Womöglich lasse die lange ACE-Variante auch den Herzmuskel effizienter arbeiten. Das könne den Genträger vor einem Infarkt schützen. Das würde auch erklären, warum Arzneien, die das ACE-Enzym regulieren, herzkranken Menschen helfen.

Die Entdeckung des ACE-Gens dürfte schon jetzt die Phantasie der Talentsucher beflügeln. In Zukunft jedoch könnten ihnen die Genforscher noch eine Vielzahl anderer Auswahlkriterien an die Hand geben. Denn bei der Entschlüsselung des kompletten menschlichen Erbguts, mit deren Abschluss noch in diesem Jahr zu rechnen ist, wird man vermutlich weitere Gene ausfindig machen, welche die Leistungsfähigkeit beeinflussen.

Zwillingsstudien lassen schon jetzt vermuten, dass das für Sportler entscheidende Vermögen, Sauerstoff aufzunehmen, zu etwa 40 Prozent im Erbgut festgeschrieben ist. Auch genetische Unterschiede zwischen den verschiedenen Ethnien wirkten sich auf die Athletik aus, sagt Bernd Wolfahrt von der Universitätsklinik Freiburg. Allerdings ist noch völlig unerforscht, ob beispielsweise afrikanische Läufer eine Art "Ausdauer-Gen" in sich tragen.

Dass begabte Kinder in Zukunft auch mit Hilfe genetischer Tests aus der Masse der Gleichaltrigen herausgefiltert werden, hält Bernd Wolfahrt durchaus für denkbar. Allerdings bezweifelt der Freiburger Mediziner, dass es so etwas wie ein Sportler-Gen gibt: "Vermutlich tragen 60, 80 oder sogar 100 Gene dazu bei, dass einer das Zeug zum Spitzenathleten hat."

(Nach Spiegel , 8/2000)

 

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