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Der "saubere Sport" muss keine Utopie sein
Für die teilnehmenden Akteure bilden attraktive Regeln des Fair play die Grundlage


Helmut Digel 
Präsident im Deutschen Leichtathletik-Verband (1995)
Im Sport - im Hochleistungssport ebenso wie im Breitensport - zeigen sich uns eine Reihe von Fehlentwicklungen, die den einstmals eher nur positiv bewerteten Sport in Frage stellen. Sind es im Breitensport die immer fragwürdiger werdenden Individualisierungstendenzen und eine wohl kaum gelingende gesundheitspolitische Inanspruchnahme des Sports, so ist es im Hochleistungssport das Problem der immer ungerechter werdenden finanziellen Bewertung sportlicher Leistungen, die in einigen Sportarten des Hochleistungssports vermehrt zu beobachtende Gewalt zwischen Zuschauern, aber auch zwischen Akteuren, und nicht zuletzt das Problem des Betrugs, beispielhaft diskutiert an der Problematik des Dopings.

Die Möglichkeit eines sauberen Sports wird dabei zunehmend auch in der öffentlichen Meinung als utopisch bezeichnet. Immer häufiger wird die Auffassung vertreten, dass man mit dem Phänomen des Betrugs im Sport zu leben habe, ja, dass der Sport sich dem Problem des Dopings nur dadurch stellen kann, dass der Gebrauch leistungsfördernder Medikamente freigegeben wird, um auf diese Weise sich des Problems des Dopings zu entledigen.

Die Frage, ob ein sauberer Sport sich uns nur noch als eine utopische Möglichkeit darstellt, ist nur dann zu beantworten, wenn man sich eine genaue Vorstellung von dem macht, was mit dem Begriff des "sauberen Sports" bezeichnet werden soll. Einen "sauberen Sport", in dem es keine Verfehlungen gibt, hat es, seit Menschen Sport treiben, nicht gegeben und wird es auch in der weiteren Zukunft nicht geben können. Vielmehr ist die Idee von einem "sauberen Sport" auf das Engste mit den Möglichkeiten der Befolgung von Regeln ebenso wie mit der Möglichkeit des Verstoßes gegen Regeln verbunden.

Regeln verlieren nicht dadurch ihren Sinn und ihre Bedeutung, dass gegen sie verstoßen wird. Dies gilt für die zehn Gebote unserer christlichen Glaubenslehre ebenso wie für die Regeln der Leichtathletik oder des Fußballspiels. Vielmehr ist der Regelverstoß in der Logik jener Regeln angelegt, die sich Menschen über Regelfindungsprozesse gegeben haben. "Sauber" ist der Sport dann, wenn er sich dessen bewusst ist und deshalb alles tut, dass die Befolgung der Regeln für die am Sport teilnehmenden Akteure attraktiv ist. Dazu gehört, dass die moralische Bedeutung der Regeln offengelegt wird. Dazu gehört vor allem aber, dass der Missbrauch der Regeln deshalb nicht nahegelegt ist, weil jeder, der gegen die Regeln verstößt, damit zu rechnen hat, dass er bestraft wird und die Folgen seines Regelverstoßes zu verantworten hat.

Ein sauberer Sport hängt somit entscheidend von jenen ab, die die Regelsysteme in den Sportverbänden zu überwachen haben. Er hängt davon ab, ob - wie es lange Jahre der Fall war und leider im internationalen Sport auch heute noch nicht ausgeschlossen werden kann - mit Augenzwinkern Regelverstöße übersehen werden. Er hängt auch davon ab, ob jene, die gegen Regeln verstoßen, von ihren Regelverstößen mehr profitieren als solche, die die Regeln befolgen (wie das bei Doping-Verstößen leider noch viel zu häufig der Fall ist). Nicht zuletzt hängt ein sauberer Sport davon ab, ob von den Verantwortlichen alles getan wird, um insbesondere jüngere Athleten davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, die selbst gesetzten Regeln einzuhalten.

Diese Konsequenzen müßten eigentlich naheliegend und selbstverständlich sein. Schließlich ist davon die Idee des Sports in grundlegender Weise abhängig, letztlich wird dadurch das Überleben des Systems des Wettkampfsports bedingt. Deshalb müssen die für den Sport Verantwortlichen ihren Sport als Teil der Gesellschaft verstehen, der sich gerade deshalb als etwas Besonderes auszeichnet, weil das Handeln im Sport auf schriftlich niedergelegten Regeln basiert, die die Idee des Sports ausmachen. Wenn Sportfunktionäre immer wieder darauf hinweisen, dass der Sport nicht besser sein kann als die Gesellschaft und dass dort ja ebenso Medikamentenmissbrauch stattfindet, so ist diese Art zu argumentieren gewiss nicht als ein Beitrag zugunsten eines sauberen Sports zu bezeichnen. Vielmehr zeichnet sich solches Handeln durch Fahrlässigkeit und vorschnelle Anpassung aus. Der Weg zur Forderung nach Freigabe von Doping ist dann nicht weit. Eine pseudo-progressive Forderung erhält auf diese Weise Unterstützung von jenen, die sich in begründetem Eigeninteresse entschieden dagegen wehren müssten.
Will der Sport sich erhalten, so hat er keine andere Möglichkeit, als alles zu tun, um sich seiner eigenen Grundlage zu versichern. Seine Grundlagen sind die Regeln des Fair play; seine Grundlagen sind die schriftlich vereinbarten Regeln. Werden diese Grundlagen dem Sport entzogen, so findet er nicht mehr statt. Er ist dann allenfalls noch Teil einer Zirkusshow, in der sich Athleten als Monster begegnen. Ein Schulsport mit Atemübungen, Yoga und Rückenschule wäre dann gewiss angemessener als jener Schulsport, in dem Kinder und Jugendliche in Sportarten eingeführt werden, die im Fernsehsport nur noch als Karikatur ihrer selbst existieren.
 

(aus "Die Welt" 1995)
Das Dopingproblem und die Verantwortung der Wissenschaften (Digel 2007)
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