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 Extremsport 


 
Bungee-SpringerWarum klettern Menschen auf die höchsten Berge? Warum stürzen sie sich von Felsen, um dann erst im letzten Moment den Fallschirm zu ziehen? Warum balancieren Menschen in extremer Höhe über ein dünnes Seil und riskieren ihr Leben? 
Sind das alles Adrenalinjunkies? Brauchen sie die tödliche Gefahr? Woher kommt es überhaupt, dass die einen unter uns das Risiko suchen und andere jedes Risiko scheuen? 

Lust am Extremen – Warum Sportler ihr Leben riskieren
Planet Wissen - Extremsport (2019)

Mit den Aktivitäten werden zum Teil erhebliche Risiken eingegangen, oft auch gesucht. Extremsport wird zwar nur von einer Bevölkerungsminderheit - freilich von einer auffälligen - geschätzt, doch Sportwissenschaftler sehen bereits eine kommerzielle Manipulierung dieser Freizeitgestaltung.

Soll dies Außeralltägliche nun in Serienproduktion gehen? Wenn Abenteuer von Spezialisten hinter den Kulissen vorbereitet und geplant werden, könne man von einer «McDonaldisierung» des Extremerlebnisses sprechen, konstatiert der Sportwissenschaftler Karl-Heinrich Bette von der Technischen Universität Darmstadt. «Es gibt Anzeichen, dass die Erlebnisindustrie derzeit an einer solchen Vermarktung und Standardisierung arbeitet», schrieb er in der Zeitschrift «Psychologie heute» (Weinheim).

Die Erlebnisindustrie wird dabei aber nach seiner Auffassung an ihre Grenzen stoßen. «Weil das Riskante typischerweise mit den Unwägbarkeiten von Natur, Körper und Psyche zu tun hat und die Möglichkeit des Scheiterns beinhaltet, wird es, zumindest in seinen extremen Varianten, immer eine anarchische Qualität behalten. So bleibt das Außeralltägliche nachhaltig vor einer Demokratisierung und Banalisierung geschützt», schreibt der Professor.

Soziologen sehen in dem Phänomen unter anderem eine Reaktion auf die Bedingungen modernen Lebens: Herrschaft von Vorgegebenem und Organisiertem, von überindividuellen Ketten von Handlungen, die der Einzelne mitmachen muss und persönliche Ohnmacht. Abenteuer und Extrem-Aktivitäten schaffen Gelegenheit zur Erfahrung individueller Bewältigung und Durchsetzung.

Bestandteile der Motivation scheinen Prof. Bette auch elitäre Massenverachtung, Freiheitsfantasien und Einsamkeitsbegehren zu sein. Ferner: «In der freiwilligen Selbstgefährdung steckt deshalb ein so wirksames Potenzial, sich von anderen abzuheben, weil Selbsterhaltung, Gesundheitsvorsorge, Lebensverlängerung und die zeitgenössische Kultur des Genießens und Sich-Auslebens für den 'normalen' Menschen einen hohen Stellenwert besitzen.»

Der Freizeitforscher Horst W. Opaschowski (Hamburg) schreibt in einem Text zum gleichen Thema von der psychotherapeutischen Wirkung des Extremsports - etwa gegen Aggressivität, Gewalt und Vandalismus im Alltag. Außerdem sagt er: «Lieber eine sportliche Entgrenzung auf Zeit als eine Drogenkarriere ohne Umkehr.»

Zur pädagogischen Wirkung zitiert Opaschowski den britischen Pädagogen deutscher Herkunft Kurt Hahn, der in seinem einmal stark beachteten Buch «Erziehung zur Verantwortung» schrieb: «Ohne die Lust nach Abenteuer in der Jugend muss jede Zivilisation dahinschwinden.» Neuerdings wird von Autoren immer wieder auch das Internet als Bezug genannt - nach dem Motto: Besser eine halbe Stunde in meterhohen Ozeanwellen surfen als den ganzen Nachmittag im Internet.

Die Grenzen zwischen Extremsport und als normal geltendem Sport können durchaus offen sein. So kann etwa Hochseesegeln bei extremen Wetterverhältnissen genauso ein Kampf auf Leben und Tod sein wie die Attacke auf einen Achttausendergipfel. Neuerdings oft genanntes Beispiel: die Regatta von Sydney nach Hobart zur Jahreswende 1998/99. Sechs Teilnehmer kamen damals ums Leben. Es grenzte an ein Wunder, dass es nicht schlimmer kam. «Der Lärm des Sturms hörte sich an wie ein Schnellzug, der auf einen zukommt. Die Wellenkämme kamen wie schneebedeckte Berge daher», heißt es in einem Bericht.

Kaum jemand hat eindringlicher das Psychische und Physische extremer Erfahrung in der Natur geschildert als der Südtiroler Bergsteiger und Durchquerer von Polarregionen Reinhold Messner. So etwa das ganz Auf-sich-selbst-gestellt-Sein in lebensfeindlichen Räumen. Oder das einzigartige Erlebnis, tagelang nur das Geräusch des Windes zu hören. «Wer etwas über sich selbst erfahren will 'zwischen Himmel und Erde', gehe dahin, wo die anderen nicht sind», sagt er.

nach "Wiesbadener Kurier" 4.6. 2003

 
 
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