Fair
Play als Rechtfertigungskategorie ?
Das
Fair play, dies legen unsere Ergebnisse nahe, entartet gegenwärtig
zu einer Rechtfertigungskategorie, "die kosmetisch den Sport einfärbt".
Sobald - und eben auch erst dann - das Image des Sports durch sogenannte
Skandale befleckt wird, kümmern sich die verantwortlichen Sportfunktionäre
um dessen Rehabilitation. Mit den Mitteln des Werbemarktes wird dabei eine
prächtige Schönfärberei entfaltet, wobei man mit der Individualisierung
des Dopingproblems oder der Unfairneß zwei Fliegen mit einer Klappe
schlägt. Zum einen geraten die strukturellen Bedingungen und Systemzwänge
unfairen Verhaltens nicht in den Blick. So kann man trefflich von der eigenen
Verantwortung ablenken. Zum anderen kann man so weiterhin und ohne die
erforderlichen strukturellen Änderungen durchführen zu müssen,
nach außen hin das Bild des sauberen, fairen Sports verkaufen, zumindest
das Bild einer Sportorganisation und ihrer Sponsoren, die alles tun, um
den Sport sauber und glaubwürdig und damit attraktiv, sprich vermarktbar,
zu erhalten.
Das etablierte System des
Sports mit all seinen Zwängen bleibt außen vor, den Sportler
trifft die Schuld und die Strafe: Der Athlet ist der Sündenbock. Das
Gesetz des Handelns entsteht und gründet hier nicht mehr im Sport
selbst, sondern wird ihm von außen aufgezwungen. Erst wenn das Image
es unausweichlich macht, wird gehandelt. "Hauptsache, das Image stimmt!"
"Fair geht vor" Es ist eher so, daß die sportliche Realität,
das AbsolutSetzen des Erfolges die eine Erfolgsmoral nach dem Motto "Der
Sieg heiligt die Mittel" und "Solange Du nicht erwischt wirst, ist alles
erlaubt" forciert. Gelingt es nicht, die Bedingungen unfairen Verhaltens
zu verändern, sind "fair" und "Fair play" in der Tat nur "positive
Begriffshülsen", "Rechtfertigungskategorien" und Fairneßinitiativen
nichts anderes als "Verwischungsstrategien und Abschiebungs-, Alibi-, Ablenkungstaktiken
- auch hinsichtlich der Verantwortlichkeit". Sie führen zu einer Spaltung
der Moral in eine "zum Teil heimliche Erfolgsmoral und eine öffentliche
Moral der Lippenbekenntnisse" (Lenk 1988, S. 1), die sich durch das Predigen,
durch flammende Plädoyers für Fairneß im Sport, durch Verschärfung
der Dopingkontrolle u.ä. nach außen hin schön beschwichtigend
vermarkten läßt, und eine heimliche Erfolgsmoral, die Leistungsnormen
von den Athleten fordert, die nur noch durch unerlaubte leistungsfördernde
Mittel zu erzielen sind, die Regelverstöße als "normal", "harmlos",
"unfair aber taktisch klug" verniedlicht, ja zum Teil offen fordert ("sonst
ist unser Fußball kaputt") und legitimiert.
(...)
In der Tat weisen die Fair-Play-Initiativen,
die Erklärungen des Sports zum Kinderhochleistungssport, zum Dopingproblem
oder zur Fairneß genau darauf hin: Sie sind Beschwichtigungsund Verwischungstaktiken
und dienen dem Erhalt des Spitzensportsystems einschließlich seiner
Untergrundmoral des "Alles-oder-Nichts". Wenn wir die Ökonomisierung
des Wettkampfsports wollen, wenn wir weiterhin Erfolg und Rekorde als oberstes
Ziel wettkampfsportlichen Handelns sehen und predigen, dann müssen
wir uns wohl auch daran gewöhnen, Regelverstöße, Unfairneß
als ein notwendiges Nebenprodukt, als systembedingte Normalität zu
betrachten.
Welcher Erfolg dabei langfristig
Fair-play-Initiativen beschieden sein wird, wird in hohem Maße davon
abhängen, inwieweit es ihnen gelingt, konstruktiv im Sinne von Erziehung
zu Fairneß auch zur Schaffung von Bedingungen für mehr Fairneß
beizutragen.
Gunter A. Pilz: Gewalt im,
um und durch den Sport.
In: Klaus Hurrelmann u.a.
(Hrsg.): Anti-Gewalt-Report. Weinheim und Basel 1995, S. 121ff.
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