Fair Play aus der Sicht des Sportjournalismus

 Klaus Grundgeiger
 
 
StartWenn Jürgen Klinsmann, der Sportler, dem deutsche Mütter ihre Töchter anvertrauen würden, zum wiederholten Mal innerhalb eines halben Jahres ein Revanchefoul begeht, wie im Europapokalspiel gegen Valencia geschehen, dann ist der Sportjournalismus in Sachen Fair play gefordert. Und das auf zwei Ebenen.

Er muss sich einerseits damit auseinandersetzen, was Fair play im Sport bedeutet. Und er muss anderseits selbst fair mit den Betroffenen umgehen. Auf diesen beiden Ebenen will ich mein Thema behandeln, und ich will gleich dazu sagen, dass mir besonders wichtig ist zu fragen, ob eigentlich fairer Journalismus im und über Sport noch zeitgemäß ist oder ob wir auch in unserem Metier schon so weit sind, dass dirty tricks wie im Sport schon augenzwinkernd von einer Mehrheit als effektive Instrumente des Erfolgsstrebens toleriert, ja sogar erwartet werden.
 

Im Internet habe ich die Homepage einer Elly-Heuss-Schule gefunden, die just von Montag an eine Projektwoche "Fair play im Sport" veranstaltet.

Ich will es mit der dort gegebenen populären, verständlichen und für den Sportalltag brauchbaren Definition von Fairness halten: Fairness bedeutet, "sich anständig gegenüber anderen Sportlern und Mitspielern zu verhalten". Helmut Digel hat es in der Diskussion um den "sauberen Sport" noch etwas ausgebaut, und auch hier kann ich zustimmen: "Sauber ist der Sport dann, wenn er sich dessen bewusst ist und deshalb alles tut, dass die Befolgung der Regeln für die am Sport teilnehmenden Athleten attraktiv ist. Dazu gehört, dass die moralische Bedeutung der Regeln offengelegt wird. Dazu gehört vor allem aber, dass der Missbrauch der Regeln deshalb nicht nahegelegt ist, weil jeder, der gegen die Regeln verstößt, damit zu rechnen hat, dass er bestraft wird und die Folgen seines Regelverstoßes zu verantworten hat."

Ich will auflisten, was angesichts dieser Definition ein der Fairness im Sport verpflichteter Journalismus mindestens zu beobachten, zu berichten und natürlich auch zu bewerten hat - vom Schulsport bis hin zum internationalen Sportverkehr. Die Liste ist sicherlich nicht vollständig; es geht insbesondere um Manipulationen jeder Art sowie um Gewalt und Missachtung des Gegenübers jeder Art. 

Da über Schulsport leider so gut wie nicht mehr geschrieben wird, finden wir in Zeitungen oder gar Fernsehberichten nicht den kleinen, dicken Jungen wieder, der als letzter gewählt wird, wenn zwei Mannschaften zu bilden sind. Aber auch seine Person wird missachtet, mit ihm wird unfair umgegangen. Manchmal immerhin wird darauf hingewiesen, dass Eltern ihre Kinder einem unangemessenen Leistungsdruck aussetzen und Misserfolg mit Liebesentzug oder gar Strafen beantworten. Sicherlich gilt das mehr für die Mathematik, aber auch für den Sport. Kampfrichter, die im Eiskunstlaufen oder im Kunstturnen Noten absprechen, Sportlerinnen und Sportler aufbauen und wieder fallen lassen, sind schon eher Berichtsgegenstände der Medien. Natürlich auch dopende Sportler inklusive ihrer Betreuungsstäbe. 

Aber ich muss auch zugeben, dass alle Medien noch immer ganz überwiegend dem Sieg und vor allem dem Sieger oder der Siegerin im Sport, unabhängig von der moralischen Qualität dieses Sieges, die höchste Berichterstatterquote einräumen. Der Verlierer im Sport wird automatisch in den allermeisten Fällen auch zum Verlierer in den Medien, und mag er auch der faire Sportler gewesen sein. Trotzdem konnte man in diesem Olympiajahr deutlicher als in früheren Jahren das journalistische Streben erkennen, den einzelnen Sportlern gerecht zu werden, indem man Chancengleichheit, Leistungsvermögen und Wettkampfergebnis zueinander in Relation setzte.

Aber ich gebe zu: Wir sind auf diesem Feld von einer fairen Berichterstattung noch ein gutes Stück entfernt. Auch weit entfernt sind wir von der Darstellung des guten Beispiels zur allgemeinen Stärkung der Moral. Es gab im Sportjournalismus eine Zeit - es waren die zwanziger Jahre -, da stellte er sich kämpferisch an die Spitze derer, die die guten Werte des Sports unters Volk bringen wollten. Aber es folgten Jahre in Diktaturen, seien sie nun nationalistisch oder kommunistisch, da wurde der Journalismus für Ziele eingespannt, die sich als inhuman erwiesen. Heutzutage verstehen sich die Journalisten, die über ihren Beruf nachdenken und nicht nur in seinem Windschatten ein Leben lang gut unterhalten sein wollen, ats eine Art Gewissen der Gesellschaft; der sogenannte "Wächterpreis" ist in unserer Zunft die begehrteste aller Auszeichnungen.

Bei aller Zurückhaltung gegenüber der Propaganda für das vermeintlich moralisch Gute will ich doch meine eigene Überzeugung und die meiner Sportredaktion wiedergeben: Wir bemühen uns darum aufzuzeigen, dass im Sport das Nichtgewinnen kein persönliches Scheitern ist.

Journalisten leben ganz überwiegend in einem nicht öffentlich-rechtlichen, vom Wettbewerb geprägten Geschäft. Die rauhe Berufswirklichkeit heißt Diktat der Marktwirtschaft (Einschaltquoten) und fortschreitende Kommerzialisierung der Medien ("ran"). Trotzdem gibt es im Journalismus, auch auf dem Sektor Sport, einen Konsens über Fairness in der eigenen Arbeit. Dieser Konsens ist im sogenannten "Pressekodex" ausformuliert: 16 publizistische Grundsätze von Achtung der Wahrheit über die Sorgfaltspflicht, die Achtung der Persönlichkeitssphäre bis hin zur Bereitschaft, vom Deutschen Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen zu veröffentlichen, insbesondere im betroffenen Publikationsorgan. Dieser Pressekodex ist durch Richtlinien präzisiert und durch eine Beschwerdeordnung sanktioniert. Ich meine, diese Grundlage unserer Arbeit müsste eigentlich für alle Kolleginnen und Kollegen als Korsett für Fairness ausreichen. Unser Beruf erfordert zwar hohe Qualität, aber er fordert diese Qualität nicht durch eine Zugangsqualifikation ein. Und so ist es ein Fakt, dass wohl drei von vier meiner Kolleginnen und Kotlegen nicht einmal wissen, wie ihr Korsett aussieht. Aber nein, das war unfair. Ich kann es nicht beweisen, nur die journalistische Wirklichkeit ist so.
 Aus: Deutsche Olympische Gesellschaft (Hrsg): Fairnesserziehung in der Schule, Frankfurt/M. 1997



 

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